: Per Selbsthilfe in die Schuldenfalle
Seit 1982 wurden 367 Miethäuser von ihren Bewohnern selbst saniert. Da die Bauförderung heute größtenteils über Kredite läuft, stöhnen die Sanierer
Besetzt – saniert – und dann? Die Schuldenlast kann für die Mitglieder von Selbsthilfe-Sanierungsgemeinschaften zur Existenzfrage werden. Conny Arnhold weiß es genau. Sie wohnt mit 14 weiteren Miteigentümern in der Schliemannstraße 21 in Prenzlauer Berg. 1996 hat die Truppe ihre marode Bleibe auf Kredit für 1,2 Millionen Mark erworben, danach für 6 Millionen Mark saniert. Nun lasten 3 Millionen Mark Schulden auf der Gemeinschaft. Und damit auch auf den Schultern der kleinen, stämmigen Frau, die kein Mikrofon braucht, um ihren Unmut der Diskussionsrunde zur Selbsthilfeförderung in der Fabrik Osloer Straße zu vermitteln.
Arnholds Problem: Bei einer Miete von 8,48 Mark pro Quadratmeter sind Zins und Tilgung kaum zu begleichen. Für 30 Jahre sind die Mieten fest geschrieben, so steht es im Fördervertrag. Denn in Arnholds Haus flossen Baukostenzuschüsse aus dem Fördertopf „Wohnungspolitischen Selbsthilfe“. Kredit gab die Investitionsbank Berlin (IBB). Den Rest erbrachten die Bewohner durch jahrelange Arbeit auf ihrer Baustelle.
Das Förderprogramm entstand 1982, als die ersten Hausbesetzer hoffähig wurden, ja sogar ins Parlament einzogen. Mit 680 Millionen Mark, durchschnittlich vier Prozent aller Stadtentwicklungsgelder, förderte das Land in 18 Jahren insgesamt 367 Selbsthelfer-Baustellen. Legalisierte Hausbesetzer gibt es kaum noch unter den Fördernehmern. Längst überwiegen normale Mietergemeinschaften.
Bis Mitte der 90er-Jahre gab es für die Selbsthelfer noch bessere Konditionen. Rund 80 Prozent der Baukosten wurden gefördert. Jahr für Jahr bleiben die Fördergelder erst nach öffentlichem Druck im Landesetat, klagt Florian Schöttle vom Arbeitskreis Berliner Selbsthifegruppen im Altbau (AKS). Für 2001 blieben so 35 Millionen Mark, in den Vorjahren waren es noch 45 bis 65 Millionen. Zudem bekommen die Selbsthelfer heute nur noch die Hälfte der Baukosten gefördert, der Rest wird über den IBB-Kredit finanziert. Dessen Rückzahlung belastet die Projekte. Attraktiv ist die Förderung nur noch für Gruppen, die beim Hauskauf eine Wertsteigerung mit einkalkulieren. Für ideell orientierte Gemeinschaften, die aus sozialen oder ökologischen Gründen sanieren wollen, ist das Programm kaum noch interessant.
Der politische Wille, das Programm fortzusetzen, ist vorhanden, doch die Deformation der Förderrichtlinie muss beseitigt werden, fordert Schöttle. Projekte mit sozialer Ausstrahlung in den Kiez sollten Vorrang bekommen, meint Baupolitiker Berndt Holtfreter (PDS). Und auch Barbara Oesterheld (Grüne) fordert wieder mehr Mieter- statt Eigentümerförderung. Die Selbstsanierer sollten aber auch ihren Beitrag leisten – etwa durch mehr Solidarität untereinander.
TILMAN STEFFEN
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