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Zu alt für eigenen Willen

■ Kein Einzelfall: Eine alte Frau soll ins Heim. So hat es ihr gesetzlich bestimmter Betreuer entschieden / Früher wollte sie aber immer lieber zu Hause bleiben

Mit sixty-four klingt das Leben noch beschwingt und locker. Mit 81 möglicherweise schon nicht mehr. Nicht mit Demenz und Alzheimer-Syndrom. Nicht, wenn man seinen eigenen Willen nicht mehr glaubhaft versichern kann, wie zum Beispiel Katharina Hartmann* aus Bremen.

Heute steht ihr Auszug ins Pflegeheim an. Gegen ihren Willen, behauptet ihr Pflegeteam. Falsch, sagt ihr gesetzlich bestimmter Betreuer, Harald Bensch: „Sie ist dement“, verwirrt, ohne wirklichen Willen. Erben, Nachkommen hat die Frau ebenfalls nicht, also wird der Bremer Rechtsanwalt ihre Zukunft regeln. In ihrem Namen, aber möglicherweise doch nicht in ihrem Sinne.

Schon vor zwei Jahren sollte Katharina Hartmann ins Heim. Damals konnten sich Pflegeteam und Bensch noch einigen. Aber seit letzten Sommer kracht es wieder zwischen beiden. Man stritt sich auch vor Gericht, über Gutachten und Pflegekonzepte und letztlich auch über Geld. Katharina Hartmann war einmal sehr vermögend, ein Ausnahmefall. Deshalb konnte sie sich die kostspielige Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu Hause leisten.

„Aber jetzt ist sie fast pleite“, meint Bensch. Es bliebe nur das Haus, in dem sie wohnt, gut 300.000 Mark wert, und am besten ohne Mieter zu verkaufen. Mit dem Geld will Bensch den Heimplatz bezahlen, der mit 8.000 Mark monatlich nur halb so teuer ist wie die Heimpflege.

Die Richterin jedenfalls bestätigte, dass Bensch es ist, der die Verantwortung für Katharina Hartmann trägt. Auch wenn er die alte Frau kaum kennt, wie das Pflegeteam klagt. Er ist vom Gesetz her rechtlicher Betreuer, regelt die Finanzen, oft besuchen muss er die Frau dafür nicht. „Ich kenne die Frau so gut, wie ich sie kennen muss“, sagt Bensch.

Das Pflegeteam – vorwiegend Studierende – nimmt dagegen für sich in Anspruch, Katharina Hartmann seit Jahren zu kennen. Besser als Bensch. „Das Zuhause ist für Katharina ein wichtiger Bezugs- und Orientierungspunkt“, sagen sie. Ihr Argument: Eine Entwurzelung per Pflegeheim könnte katastrophale Folgen haben. Ohne Reize durch Erinnerungen in der gewohnten Umgebung ginge ihr letzter Halt in der Realität verloren. Das Geld aus dem Hausverkauf sollte nach Meinung der Studierenden in die Pflege zu Hause gesteckt werden.

Das Team aus sechs bis acht Leuten stützt sich auf das Pflegegesetz, nach dem häusliche Pflege auf jeden Fall vorgehe. Außerdem soll Katharina Hartmann schon vor ihrer Krankheit dafür gesorgt haben, dass sie so lange wie möglich zu Hause bleiben kann. Sie soll eins ihrer Häuser weit unter Marktwert an Nachbarn verkauft haben – unter der Bedingung, dass diese sich um sie kümmern. Für die PflegerInnen ein klares Zeichen für den Wunsch nach häuslicher Pflege. Und wenn man sie heute auf das Heim anspricht, ärgert sich Katharina Hartmann: „Ins Heim? Was soll ich denn da?“

Aber versteht sie dann eigentlich, was sie sagt? Ein Gutachter urteilt: Katharina Hartmann versteht es nicht. Aus „wirren Äußerungen und nicht nachvollziehbaren Erregungen“ dürfe man nicht den Schluss ziehen, „dass sich darin ein irgendwie gearteter natürlicher Wille zeige“. Dem Amtsgericht empfiehlt der Gutachter also, die zu teure Pflege zu Hause ins viel günstigere Heim zu verlagern.

Ein Affront, findet dagegen das Pflegeteam. Nach ihrer Erfahrung hat Katharina Hartmann auch wache Momente und zeige dann einen erkennbaren Willen gegen das Heim. Rückendeckung bekommt das Team von der Uni Bremen. Des Gutachters Idee, dass es der alten Frau „in einem schönen Heim mit gehobener Ausstattung und freundlichen Krankenschwestern“ genau so gut ginge wie zu Hause, sei „fachlich von gestern“, kritisiert Wolfgang Jantzen, Universitätsprofessor für Behindertenpädagogik, an den sich die Studierenden gewandt hatten.

Jantzen kennt die alte Dame – zwar nicht persönlich, aber aus anderen Gutachten. Und er sieht wenig Gründe dafür, Katharina Hartmann aus dem Haus zu holen. „Ihr ganzer äußerer Rückhalt bricht sonst zusammen.“ In solchen Fällen spricht Jantzen von „Abschiebe-Praxis“, die immer häufiger vorkomme, weil es so eben für die gesellschaftliche Umgebung oft einfacher wäre.

Zwei Seiten, zwei Meinungen. Von den Studenten heißt es, sie würden gute Arbeit machen, aber seien oft zu idealistisch. Sie würden an Katharina Hartmann hängen und vor allem gutes Geld dort verdienen.

Zwischen beiden Parteien ist kaum noch ein Konsens herzustellen. Die Studenten täten ja so, als „würde man die Frau umbringen, wenn sie ins Heim käme“, sagt Bensch. „Ginge es ihnen wirklich um die Frau, sollen sie doch umsonst arbeiten“, fordert er. Dann könne sie auch zu Hause bleiben. Inzwischen sei es ohnehin zu spät. „Die Entscheidung steht.“ Heute kommt Katharina Hartmann ins Heim. Punkt. pipe

*Name geändert.

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