: Paradoxe PDS
Die PDS sollte mitregieren in Berlin – schon weil sonst die CDU-Filzokratie weiter herrschen kann. Außerdem sind die PDS-Spitzen längst überzeugte Sozialdemokraten
Es ist so ähnlich wie mit einer alten Jukebox, die lange in einer Ecke verstaubte und aus der plötzlich wieder die alten Schlager aus den Sechziger- und Siebzigerjahren dröhnen. Was damals bei jungen Mädchen Ohnmachtsanfälle auslöste, klingt heute freilich meist nur mehr putzig. So ist das auch bei den alten Kalten Kriegern, die, wie Helmut Kohl, vor den „rot angestrichenen Faschisten“ warnen, mit einem kindischen Pathos, als stünde die Rote Armee ums nächste Eck, oder die, wie die Springer-Boys oder Focus-Markwort, panische Angst vor einer Verstaatlichung von BMW oder Deutscher Bank haben. Sie erinnern an Sprechautomaten, bei denen die Platte hängen geblieben ist. Die Frage will einem nicht aus dem Kopf: Wer von denen ist so blöd und meint im Ernst, was er sagt?
Dabei ist es doch eine ziemlich banale Erkenntnis: Bei der Beurteilung der PDS und bei der Beantwortung der Frage, ob es opportun sei, sie demnächst in Berlin mitregieren zu lassen, helfen alte Reflexe recht wenig. Es kann aber hilfreich sein, ein paar Paradoxien im Auge zu behalten.
Da ist einmal von Belang, dass Führung, Funktionärsmittelbau und Wählerbasis der PDS kräftig auseinander klaffen. Nun mag es in jeder Partei so sein, dass die Zampanos an der Spitze mit einer Mischung aus Abscheu, Verachtung und Mitleid auf ihr Fußvolk blicken, doch in kaum einer begegnet einem dies derart offen wie in der PDS. Gerhard Schröder beispielsweise weiß manchen Schwank über die Marotten seiner Sozi-Pappenheimer zu erzählen – dass aber ein führender Sozialdemokrat offensiv und fast ungefragt seinem Gegenüber versichert, auch er halte die meisten Mitglieder, Funktionsträger und Abgeordneten seiner Partei für Idioten, ist nicht die Regel. In Gesprächen mit modernistischen PDS-Kadern höchster, höherer und auch mittlerer Provenienz ist das die Regel.
Diese wollen im Grunde nichts anderes betreiben als sozialdemokratische Politik mit allenfalls einer östlichen Note. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass genau dies die meisten Wähler der PDS von ihr auch erwarten und erhoffen. Die altstalinistischen Parteiaktivisten im Zwischenraum dieser beiden Sphären prägen einerseits das Bild der Partei, andererseits werden sie zunehmend ein Fremdkörper. Denn abgesehen von der Außen- und Sicherheitspolitik ist auch die PDS weitgehend im politischen Mainstream angekommen. (Übrigens: Vielleicht benötigt die Partei gerade deshalb die große außenpolitische Geste, wie Anti-Nato-Pathos und Reisen zu Milošević, um jene Outcast-Position, die längst schon der Vergangenheit angehört, zumindest symbolisch noch einnehmen zu können.)
Zu diesem Mainstream gehört auch eine „realistische“ und „verantwortungsvolle“ Finanz- und Haushaltspolitik; und es ist doch erstaunlich, wie routiniert gerade die Linkssozialisten mittlerweile die Konsolidierungsrhetorik pflegen. Schon bestätigt jeder, den man fragt in Berlin, dass etwa der Fraktionschef Harald Wolf (ein ehemaliger Westberliner Linksradikaler) heute wahrscheinlich der talentierteste Haushaltspolitiker der Hauptstadt ist. In Kooperation mit dem neuen Bürgermeister Klaus Wowereit könnten er und seine Berliner PDS-Truppe tatsächlich stilbildend für eine Art „linker Austeritätspolitik“ werden.
Es mag hier übrigens ein altes asketisches Ideal der Linken ins Spiel kommen; und dass, glaubt man den Umfragen, ein Großteil der Berliner dieser „Tabula rasa“-Rhetorik etwas abgewinnen kann, hat auch etwas von masochistischer Hingabe: In der Krise fliegen jenen die Herzen zu, die am schneidigsten vom Sparen reden.
Jedenfalls scheint aus dieser Perspektive jenes Argument der konservativen Kritiker besonders absurd, dass ein rot-rot-grünes Bündnis ein „Investitionshindernis“ wäre; es gibt kein größeres Investitionshindernis als die bislang herrschende Misswirtschaft und den Westberliner Filz, der ja übrigens auch ein Protektionssystem war zur Fernhaltung von Konkurrenz von außen, also von Investitionen. Und weil das im Grunde auch jeder weiß, hatte der Befreiungsschlag von Klaus Wowereit fast so etwas wie Aufbruchstimmung zur Folge; darum auch können sich sechzig Prozent aller selbstständigen Unternehmer in Berlin einen Bürgermeister Gregor Gysi vorstellen: Weil alles besser ist als das, was bisher war. Es ist daher durchaus möglich, dass bald nicht mehr nur darüber diskutiert wird, ob es zulässig, moralisch vertretbar oder doch politisch verwerflich ist, mit den Postkommunisten zu koalieren, demnächst könnte die Debatte darüber handeln, ob es nicht unumgänglich ist, die PDS an der fälligen Sanierungskoalition zu beteiligen. Und zwar einfach, weil diejenige Kraft am ehesten einen bitteren Sparkurs durchhalten kann, der man abnimmt, dass sie das mit sozialem Augenmaß und ohne neuerliche Abwicklungsabsicht bei den Ost-Institutionen macht.
Bleibt nur mehr der große politmoralische Vorbehalt. Die PDS kommt, je nach Perspektive des Betrachters, aus einer verbrecherischen Tradition oder zumindest aus einer politischen Tradition, auf deren Konto auch Verbrechen gehen. Mauerbau, Drangsalierung Andersdenkender sowie einige tausend, wenn nicht zehntausend Tote hat die SED zumindest mit zu verantworten. Die Frage ist nicht nur, ob sich ihre (Rechts-)Nachfolgerin ausreichend davon distanziert hat, sondern auch, ob eine politische Kraft, die solches zu verantworten hat, überhaupt noch Legitimation erlangen kann – ob solche Verfehlungen überhaupt „distanzierungsfähig“ sind. Dass Überlegungen zu dieser Frage in Deutschland immer durch die Nazi-Vergangenheit vorgeprägt sind, macht die Sache nicht leichter. Hier sei allein der Hinweis gestattet, dass nur wenige politische Kräfte auf dieser Welt, die über längere Tradition verfügen, nie in Verbrechen involviert waren. Kaum jemand streitet heute noch den spanischen Konservativen ihre prinzipielle Regierungsfähigkeit ab, bloß des franquistischen Erbes wegen. Österreichs Christkonservative haben 1933 die Demokratie abgeschafft und 1934 ihre politischen Gegner mit dem Militär niederkartätscht und die Überlebenden in Konzentrationslager gesperrt – dennoch sagt niemand, die Österreichische Volkspartei dürfe nicht regieren (und das, obwohl sie sich von den Mördern unter ihren Ahnen bis heute nicht distanziert hat).
Was nun die Berliner PDS im Speziellen betrifft, so ist von ihren heute führenden Repräsentanten keiner in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen. Bekanntlich kann dies von denjenigen, die bis vor kurzem die örtliche Christdemokratie beherrschten, nicht behauptet werden. So ist für jeden, der die Kräfteverhältnisse in der Berliner Politik vor Augen hat, leicht einsichtig, dass, wollte man die PDS aus dem Kabinett fern halten, man eine weitere Regierungsbeteiligung der christdemokratischen Filzpartie in Kauf nehmen müsste.
Die Intelligenteren unter den Kritikern der PDS sollten einsehen, dass dieser Preis zu hoch wäre. ROBERT MISIK
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