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Museum unterminiert Tourismus

In Kambodscha gefährden noch immer Millionen Minen die Bevölkerung. Doch das Landminenmuseum bei Siem Reap muss schließen, weil der Provinzgouverneur fürchtet, der Hinweis auf die Minen könnte Touristen aus reichen Ländern abschrecken

aus Siem Reap KATHRIN WESELY

„Sorry, the museum is closed“, steht auf dem Schild am Eingang. Ein Wächter schaukelt in einer Hängematte, seine Krücken hängen an einem Seil. Er blinzelt herüber, lässt die Besucher wortlos passieren. Zwei Hütten und ein karger Garten, in dem Hühner scharren: Das ist das Landminenmuseum von Siem Reap. In Regalen stehen die Exponate: Handgranaten, Panzer- und Schützenminen, die bereits bei kinderleichter Berührung hochgehen, für so genannte „Weichziele“. Über den Relikten aus 40 Jahren kambodschanischer Geschichte schrabbt ein alter Ventilator.

Museumsdirektor Aki Ra hat die Exponate alle selbst entschärft. Das ist sein Job seit über zehn Jahren. Millionenfach lauern die Sprengsätze noch in Kambodschas Erde. Ra will die Touristen auf das Problem hinweisen, die nach dem hier gedrehten Hollywoodfilm „Tomb Raider“ womöglich bald zu Zehntausenden kommen. Doch schon kurz nachdem er 1999 sein Museum bei der legendären Tempelanlage von Angkor Wat eröffnete, gab es Ärger. Um viele Touristen zu erreichen, stellte Ra seine Hinweisschilder an der Straße zu den Tempeln auf. Bis zu hundert Besucher kamen am Tag. Ra nahm keinen Eintritt, nur Spenden für Minensuchprojekte.

Doch die Touristenattraktion passte dem Provinzgouverneur nicht. Dem lag nichts daran, ausländische Gäste so deutlich auf die Minengefahr hinzuweisen. Der Tourismus stecke noch in Kinderschuhen, da wolle man die Fremden nicht erschrecken. Ras Schilder wurden abmontiert.

Ra hatte unter dem Pol-Pot-Regime (1975–79) selbst Minen verlegt. Nachdem seine Eltern von den Roten Khmer ermordet wurden, musste er Feldarbeit machen, bis er so groß war wie ein AK47-Maschinengewehr. Von da an war er Roter-Khmer-Soldat. „Ich dachte, dass die ganze Welt so lebt wie wir. Die Brutalität, der Hunger und die Waffen waren Normalität“, erinnert er sich. Er verminte die Region Siem Reap gegen die Vietnamesen, die das von der Welt ignorierte Gemetzel unter Pol Pot beendet hatten.

Erst vier Jahre nach ihrem Einmarsch in Phnom Penh erreichte die vietnamesische Armee das nördlich gelegene Siem Reap. Ra lebte bis dahin in den Dschungelcamps der Roten Khmer. „Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mich die Vietnamesen schnappten.“ Von da an kämpfte er mit ihnen gegen die alten Kameraden. „Erwacht bin ich erst mit etwa 20 Jahren.“ 1993 endeten für Ra der Krieg und das Dschungelleben. Zum ersten Mal sah er befestigte Straßen. Er schloss sich den UN-Minensuchtrupps an, die 1992 ins Land kamen.

Fotos im Museum zeigen Ra mit Leuten, für die er Minen entschärft. Sie sind dankbar, Ra lächelt. Er hat einen guten Job gemacht. Ein Bild zeigt, wie er an einer Mine hantiert, während hinter ihm Bauern Pflanzen setzen. Kaum ist ein Gebiet sicher, wird es bewirtschaftet. Noch fünf Millionen Minen drohen den Reisbauern die Gliedmaßen zu zerfetzen. Bei den Tempeln von Angkor gibt es kaum einen Weg zwischen den Gemäuern, der nicht von versehrten Bettlern belagert wird.

Jeder 236. Kambodschaner ist ein Minenopfer. Neben Afghanistan und Angola zählt Kambodscha zu den am meisten minenverseuchten Ländern. Nur auf den T-Shirts mit dem Aufdruck „Danger! Mines!“, einem der beliebtesten Souvenirs, lassen sich Minen gut vermarkten. Auch Ra verkauft die Hemden in seinem Museumsladen. Doch seit einigen Wochen ist das Museum offiziell geschlossen. Die Obrigkeit fand einen juristischen Kniff: „Er kann kein Waffenmuseum betreiben, solange er Offizier der Armee ist“, so der Militärkommandant von Siem Reap, Morn Samon. Die Sammlung soll kassiert werden. Im Dienst der Armee sucht Ra weiter Minen. „Die Entschärfung nur einer einzigen kostet rund tausend Dollar“, sagt ein Aushang im Museum. Für eines der ärmsten Länder eine schwere Bürde. Zum Vergleich: Als die tausend Minen an der vormals innerdeutschen Grenze geräumt wurden, kostete dies 250 Millionen Mark und dauerte fünf Jahre.

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