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Spinnereien aus München

Kommentare zum Mief der 60er Jahre: Die Juli-Filmreihe des B-Movie  ■ Von Dirk Schneider

Die Ersten waren sie nicht, die Unterzeichner des Oberhausener Manifests, als sie 1962 den Tod von „Papas Kino“ ausriefen. Die Nouvelle Vague war da schon fast in die Jahre gekommen, in Großbritannien hatte das Free Cinema Erfolge gefeiert und selbst im Heimatland des Hollywoodkinos hatte sich die „New American Cinema Group“ mehr Realismus auf die Fahnen geschrieben. Oberhausen '62 gilt als die Geburtsstunde des deutschen Autorenfilms. Auch wenn man von den 26 Unterzeichnern heute nur noch eine Hand voll kennt, haben sie doch den Weg bereitet für das, was in den 70ern unter dem Etikett „Neuer deutscher Film“ mit Wenders, Herzog und Fassbinder Furore machen sollte.

„Aufbruch in München“ nennt sich eine Reihe, mit der das B-Movie diesen Monat fünf Lang- und zwei Kurzfilme vorstellt, die dort in den späten 60ern entstanden sind. Franz-Josef Spieker, einer der „Oberhausener“, ist mit Wilder Reiter GmbH von 1966 vertreten. Spieker, der sich seine Sporen bei Hollywoodproduktionen verdient hat, erzählt darin von der Amerikanisierung der Verhältnisse im Wirtschaftswunder-Deutschland. Ein junger Journalist kommt aus der Provinz nach München und verdingt sich als Publicity-Manager für den kauzigen Kim, der nicht viel mehr kann als reiten und dabei unartikulierte Laute ausstoßen. Der ehrgeizige Junge organisiert ein paar pressewirksame Auftritte (Belästigung einer Stripperin auf der Bühne, ein Ritt durch die Münchner Innenstadt), woraufhin Kim als Wilder Reiter zum folkloristischen Schlagerstar avanciert. Während die GmbH in einer Waldhütte auf die Ankunft eines amerikanischen Millionärs wartet, der in diverse Spinnereien investieren soll, spitzt sich die Situation zwischen dem despotischen Reiter und seinen Mitarbeitern, die er wie Sklaven hält, zu. Der Film war seinerzeit sehr erfolgreich, vielleicht weil er sowohl als subversiver Kommentar zur Ära Ludwig Erhard wie auch als abendfüllende Komödie funktioniert.

Ein echter Kassenknüller war zwei Jahre später Zur Sache, Schätzchen von May Spils. Werner Enke spielt einen Gammler, so nannte man solche Leute damals, der den ganzen Tag im Bett bleiben würde, hätte er nicht ein paar Freunde, die ihn zum Aufstehen zwingen. „Es wird böse enden“ ist seine Formel, mit der er die Vergeblichkeit allen Strebens auf den Punkt bringt. Wenn er mit Uschi Glas im Cabrio durch die Stadt fährt, erinnert das nicht von ungefähr an Außer Atem von Godard. Am Ende geht Enke nach dem Schuss aus einer Polizeipistole wie tot zu Boden, steht aber kurz darauf leicht verwundet auf und versichert dem Beamten: „Da haben Sie aber noch mal Glück gehabt!“

Auch Atlantis – Ein Sommermärchen von Eckhart Schmidt gehört zu den amüsanten Auswüchsen Münchner Filmschaffens: Eine Schar Nymphen sucht Bayern heim auf der Suche nach Männern, die als Beischlafsklaven den Fortbestand der Rasse auf einem versunkenen Kontinent sichern sollen. Durch Sex werden die Männer geschrumpft und verschwinden in den Köfferchen der jungen Damen. Man kann sich vorstellen, dass die sogenannte sexuelle Befreiung zu einigen Miss-verständnissen geführt hat.

Auch ein früher Syberberg ist im Programm: In San Domingo, nach Kleist, landet ein Bürgersöhnchen in einer Rockerkommune, das ganze in Bayerisch mit hochdeutschen Untertiteln. Und in Mädchen, Mädchen, dem letzten Film der Reihe, erzählt Roger Fritz von sexueller Abhängigkeit im patriarchalen, kapitalistischen System.

Zur Sache, Schätzchen (mit Vorfilm): 5. + 8.7., je 20.30 Uhr (am 7.7., 22.30 Uhr open air, CaFee mit Herz, Hafenkrankenhaus, Elbpark); Wilder Reiter GmbH: 12., 14. + 15.7., je 20.30 Uhr, 14.7. auch 22.45 Uhr; Atlantis – Ein Sommermärchen: 19.+ 21.7., je 20.30 Uhr; San Domingo: 21.7., 22.45 Uhr + 22.7., 20.30 Uhr; Mädchen, Mädchen (mit Vorfilm): 26., 28. + 29.7., je 20.30 Uhr, B-Movie

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