DIE WISSENSCHAFT SCHAFFT LÄNGST FAKTEN BEIM STAMMZELLENIMPORT: Geklonter Unsinn
Denkverbote darf es nicht geben. Trotzdem wird es langsam lästig. Denn in der Debatte um die Forschung mit embryonalen Stammzellen tauchen verstärkt Argumente auf, die längst in der rhetorischen Mottenkiste verschwunden schienen.
Gleichzeitig werden immer neue Übergriffe bekannt: Ein Kieler Wissenschaftler hat einen Vertrag zum Import menschlicher Embryozellen aus Australien bereits unterschrieben, auch wenn er die Bewertung vom Ethikrat des Kanzlers abwarten will. Bonner Neuropathologen machen mit Wolfgang Clement eine Shoppingtour durch Israel, um sich schon mal die schönsten Stammzelllinien zurücklegen zu lassen. Das Mitglied eines amerikanischen Forschungsunternehmens berichtet im Spiegel, längst embryonale Stammzellen an deutsche Institute geliefert zu haben. Und in Köln und München warten die Forscher angeblich nur darauf, das heikle Biomaterial endlich aufzutauen.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese gezielten Indiskretionen Teil einer Akzeptanzstrategie sind. Die Öffentlichkeit soll glauben, dass sich der Fortschritt nicht aufhalten lässt. Begleitet wird dies von mehrheitlich naturwissenschaftlichen Legitimationsversuchen, deren argumentative Basis gelegentlich mehr als dürftig ist:
1. Embryonale Stammzellforschung führt zur Therapie unheilbarer Krankheiten. Das ist ein billiger „Köder der Utopie“ (Hans Jonas). Das Heilpotenzial der Stammzellen ist unbewiesen: Studien, etwa mit Parkinsonpatienten, zeigen, dass sich deren Zustand durch eine Therapie mit aus Stammzellen entwickeltem Gewebe verschlechterte.
2. Man darf Kranken die Chance auf Heilung nicht vorenthalten. Bezeichnenderweise sind es meist Grundlagenforscher und keine klinisch tätigen Ärzte, die eine neue Ära der Medizin heraufbeschwören. Heutigen Kranken fehlt jedoch ganz anderes: Die psychosoziale Betreuung und die Schmerztherapie, etwa von Krebspatienten, liegen im Argen. Viele Alte und Kranke in Heimen erhalten nicht genügend Zuspruch, Körperpflege und Trinkmenge. Nun kann man zwar das eine tun und das andere nicht lassen. Doch in der Praxis sind die Ressourcen begrenzt.
3. Wenn wir nicht an embryonalen Stammzellen forschen, machen es andere. Na und? Mit dieser Logik lässt sich alles legitimieren. Lange Zeit haben deutsche Forscher neidisch auf die USA geschielt, doch jetzt hat George W. Bush die Gelder für embryonale Stammzellforschung eingefroren. Inzwischen werden Israel und Großbritannien als Vorbilder hingestellt.
4. Bei Abtreibungen werden doch auch Embryonen getötet. Stimmt. Aber dabei wird das Recht des Embryos gegen das Recht der Mutter abgewogen. Niemand kann eine Frau gegen ihren Willen zur Mutterschaft verpflichten. Bei der Stammzellforschung stehen aber nicht zwei Rechtsgüter zur Disposition. Hier geht es nur um den Embryo. Ihm stehen keine individuellen Interessen gegenüber, die seine Tötung rechtfertigen würden. Gesellschaftliche Interessen wie die Forschungsfreiheit oder die diffuse Aussicht auf Heilung reichen nicht aus.
5. Der Standort Deutschland ist in Gefahr. Der Wirtschaftsfaktor Gentechnik ist bisher zu vernachlässigen. In Deutschland hängen maximal 30.000 Arbeitsplätze davon ab. Weniger als zwei Prozent der Arbeitnehmer in der Sparte Gentechnik sind weltweit mit Stammzellen beschäftigt.
6. Wir verbauen uns einen Zukunftsmarkt. Das therapeutische Potenzial der Stammzellen ist ebenso ungewiss wie ihr Marktpotenzial.
7. Ein Vergleich mit nationalsozialistischer Selektion ist unredlich. Es gibt Parallelen. Dies bedeutet nicht, dass Genforscher mit Naziärzten gleichgesetzt werden. Die Auswahl der „besten“ embryonalen Zellen zur künstlichen Befruchtung (PID), die vorgeburtliche Diagnostik, wie auch die von vielen internationalen Spitzenforschern gewünschte Gentherapie der Keimbahn, sie entsprechen eugenischen Prinzipien: der Auslese der „guten“ Gene und einer Vernichtung der „schlechten“. Die Erblehre orientiert sich jetzt allerdings weniger an der „Volksgesundheit“ (oder am „Genpool“), sondern an der Befindlichkeit des Einzelnen.
8. Einem Zellhaufen kommt keine Menschenwürde zu. Die beginnt erst bei der Ausbildung von Bewusstsein. Dann hätten auch Ohnmächtige, Demenzkranke und Komapatienten keine Menschenwürde. Niemand darf sich zum Richter über die Menschenwürde machen. Darauf gründet Artikel 1 des Grundgesetzes. Wird diese Maßgabe verlassen, ist der Juli-Titel der Satirezeitschrift Titanic nicht satirisch, sondern nur konsequent: Ein zerknautschtes Bild des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ziert die Schlagzeile: „Ethik-Kommission ratlos: Wo beginnt menschliches Leben?“
WERNER BARTENS
Arzt und Autor des Buchs „Die Tyrannei der Gene“
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