: Intensivstation Centre Court
Die beliebte Soapopera „The Sisters“ wartet in Wimbledon mit einer neuen Folge auf, hat allerdings mit der im Viertelfinale ausgeschiedenen Serena Williams eine der Hauptdarstellerinnen verloren
aus Wimbledon MATTI LIESKE
„Mein Problem ist, dass ich ein Hypochonder bin“, sagte Serena Williams nach ihrer 7:6, 5:7, 3:6-Niederlage im Viertelfinale gegen Jennifer Capriati, und man kann sich lebhaft das boshafte Gelächter vorstellen, welches diese Erkenntnis im Kreis der anderen Spielerinnen hervorgerufen hat. Dabei sind es noch die wohl meinenderen Kolleginnen, die glauben, dass sich die 19-Jährige ihre Krankheiten und Wehwehchen einbildet, die Majorität ist überzeugt, dass sie einfach nicht verlieren kann. Es gab ja auch in den letzten Jahren kaum eine Niederlage, bei der Serena am Ende nicht humpelte, das Gesicht verzerrte oder sich irgendeinen Körperteil hielt, der Schluss, dass sie dieses tut, um die Gegnerin aus dem Rhythmus zu bringen und gleichzeitig eine Entschuldigung für ihr Scheitern zu haben, liegt also nahe.
In Wimbledon gab es allerdings keinen Zweifel daran, dass Serena Williams tatsächlich seit einigen Tagen unter einer virusbedingten Magenverstimmung leidet, kaum essen konnte und es ihr im Match gegen Capriati am Ende derart elend ging, dass sie einmal fluchtartig den Platz zum Zwecke des Erbrechens verlassen musste. Angesichts ihres angekratzten Rufes fiel es zunächst jedoch schwer, nicht an ein taktisches Manöver in diesem bizarren Match zu glauben, das zeitweise eher auf einer Intensivstation als auf dem Centre Court stattzufinden schien, da sich auch Jennifer Capriati mehrfach wegen einer Gesäßmuskelzerrung behandeln ließ.
„Sie sagte doch, in Paris habe gar nicht sie auf dem Platz gestanden, sondern eine Doppelgängerin“, spielte Capriati belustigt auf ihren klaren Sieg gegen eine desolate Serena bei den French Open an, „ich dachte, heute wollte sie selber kommen.“ Diesmal sei sie es tatsächlich gewesen, gab Williams zu. Aber als Hypochonder eben. Wobei sich herausstellte, dass dies in ihrer Vorstellung keineswegs jemand ist, der sich Krankheiten einbildet, sondern jemand, der sie anzieht. Vater Richard habe ihr geraten, gar nicht anzutreten, berichtete Serena Williams, aber angesichts der Historie der Williams-Schwestern in bezug auf plötzliche Absagen ist zu verstehen, dass sie trotzdem spielte. Ein Verzicht hätte für noch mehr böses Blut gesorgt, erst im Frühjahr war Serena Williams beim gewonnenen Finale in Indian Wells von den Zuschauern nachhaltig ausgepfiffen worden, weil Schwester Venus zuvor das innerfamiliäre Halbfinal-Duell hatte platzen lassen. Richard Williams wurde damals als Drahtzieher verdächtigt, und sogar das Publikum in Paris ließ Serena noch Wochen später spüren, wie sehr ihr Image gelitten hat.
„Sie schaffen eine Menge Drama“, kommentierte die weise Lindsay Davenport, heute Halbfinal-Gegnerin von Venus Williams, die „Mini-Soap“ (BBC) auf dem Centre Court, verteidigte die Schwestern jedoch gegenüber den Journalisten: „Sie sind vermutlich das Beste, was dem Tennis passieren konnte. Jedesmal, wenn sie oder ihr Vater etwas sagen, kriegt ihr doch einen Herzinfarkt und schreibt alles voll.“ Außerdem warnte Davenport davor, „The Sisters“ in einen Topf zu werfen. „Bei Venus gibt es eigentlich kaum Drama“, sagte die 25-jährige Mitfavoritin, die vor zwei Jahren das Wimbledon-Finale gegen Steffi Graf gewann und im letzten Jahr gegen Venus verlor.
Tatsächlich war Serena zwar die erste, die 1999 bei den US Open einen Grand-Slam-Titel in die Familie Williams holte, seither steckt sie aber eindeutig in der undankbaren Rolle der kleinen Schwester fest. Die 21-jährige Venus gewann letztes Jahr die US Open und spielt auch diesmal in Wimbledon weitaus konstanter und souveräner als Serena, in deren Match gegen Capriati sich auf beiden Seiten großartige Aktionen und grauslige Fehler in schneller Folge jagten. Trotz ihrer gesundheitlichen Misere war Serena nahe daran, der Siegerin von Melbourne und Paris, die im Halbfinale gegen die Belgierin Justine Henin antritt, den Traum vom Grand Slam gründlich zu vermasseln. „Sie ist noch jung und wird noch viele Chancen haben“, sagte Venus fast altmütterlich, ging aber ansonsten deutlich auf Distanz und weigerte sich, die ominösen Vorgänge um Serena zu kommentieren.
Die kleine Schwester müsse noch reifen, hatte sie zuvor einmal leicht scherzhaft gesagt, „vor allem, damit sie mich nicht mehr anschreit, wenn irgend etwas schief läuft“. Während Venus inzwischen mit fundierten und wesentlich diplomatischeren Kommentaren als früher einen ihren sportlichen Qualitäten entsprechenden Status auf der Tennistour beansprucht, gibt Serena den munter und oft gedankenfrei drauflos plappernden Teenager, obwohl die Familie doch mit Vater Richard schon ein Exemplar dieser Sorte in ihren Reihen hat. Auch den verteidigt Lindsay Davenport: „Er ist klüger, als man denkt, und führt euch ganz schön an der Nase herum.“
Eines haben Oracene und Richard Williams jedenfalls nicht getan: ihre Töchter zu braven Kids erzogen, die allenthalben um Sympathie buhlen. „War das nicht das Thema von ,Tod eines Handlungsreisenden‘, beliebt zu sein? Und was ist ihnen passiert?“, fragt Venus sarkastisch. „Man muss sich zuerst einmal selbst mögen“, hält sie dagegen. „Wenn das nicht klappt, hast du verloren.“ Trotzdem sollte sie Serena vielleicht bei Gelegenheit mal erklären, was ein Hypochonder ist.
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