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Angst vorm schwulen Coming-out

Studie des niedersächsischen Sozialministeriums: Jugendliche sprechen mit Eltern nicht über Homosexualität

HANNOVER taz ■ Für junge Schwule ist das Coming-out immer noch ein schwieriger Prozess, der nicht selten von Identitätsproblemen und Selbstmordgedanken begleitet ist. Dies ist das Ergebnis der bundesweit ersten Studie zur Lebenssituation schwuler Jugendlicher, die das niedersächische Sozialministerium gestern in Hannover vorstellte. Für die Untersuchung hat die Münchner Schwul-Lesbische Forschungsgruppe im Auftrag des Ministeriums 353 junge homosexuelle Männer im Alter von 15 bis 25 Jahren befragt.

Vor allem die Eltern akzeptierten ihre schwulen Söhne selten, heißt es in der Studie. Die Gewissheit, schwul zu sein, löse auch heute noch vor allem unangenehme Gefühle aus. Für die befragten Jugendlichen, von denen die Hälfte die 96 gestellten Fragen via Internet beantwortete, ging ihr Coming-out vor allem mit Zukunftsangst (43 Prozent) und Beunruhigung (38 Prozent) einher.

Glück über ihre Homosexualität empfinden nur 26 Prozent. Angst und Sorge seien beim Coming-out damit heute nicht weniger bestimmend als noch vor dreißig Jahren, sagte Ulrich Biechele von der Münchener Forschungsgruppe. Die letzte ähnliche Untersuchung, bei der Männer aller Altersgruppen befragt wurden, liege bereits drei Jahrzehnte zurück.

Alle Befragten schilderten ihr Coming-out als jahrelangen Prozess. Im Schnitt waren die Jugendliche 13,4 Jahre alt, als sie sich das erste Mal Gedanken über ihr Schwulsein machten. Ihrer Homsexualität sicher waren sie sich erst mit 16,7 Jahren. Meist vergingen etwa eineinhalb Jahre, bis sie sich einer anderen Person anvertrauten.

Vor allem Eltern reagierten demnach auch heutzutage noch mit Ablehnung auf die Homosexualität ihrer Söhne. Freunde, Freundinnen oder Schwestern nahmen dagegen zu über 85 Prozent ein Coming-out positiv auf. Die Brüder der Befragten akzeptierten es nur zu knapp 75 Prozent.

Mütter zeigten sich spontan eher tolerant (43 Prozent) als Väter (34 Prozent). Ein Viertel der Väter akzeptierte die Homosexualität des Sohnes explizit nicht. Die übrigen, fast die Hälfte, wurden von ihren Söhnen nicht eingeweiht.

Knapp drei Viertel der Befragten hatten nach ihrem Coming-out Suizidgedanken. 19 Prozent dachte ernsthaft über den Freitod nach und immerhin 8,7 Prozent versuchten, sich das Leben zu nehmen. Nur ein Viertel nahm professionelle psychologische Hilfe in Anspruch.

JÜRGEN VOGES

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