: Biolandbau als Weg aus der Krise?
Fungizide, Pestizide und Kunstdünger sind knapp und teuer in Kuba. Das Landwirtschaftsministerium fördert daher zurzeit alternative Anbaumethoden. Doch bei Exportgütern wie Zuckerrohr und Tabak setzt Kuba weiterhin auf High Tech
von KNUT HENKEL
Julia Sabín lockert vorsichtig die Erde in einer ausrangierten Badewanne auf. Vorsichtig dreht sie die Mistgabel nach links und rechts, zerteilt Erdklumpen und lässt sie durch die Stahlzacken gleiten. Aufmerksam hält die 41-jährige Agrartechnikerin Ausschau nach ihren Freunden – den Regenwürmern. Kulturen der kleinen Helfer anzulegen ist für die kräftige Frau mit dem hochgesteckten dunklen Haar eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Bodenkultur.
Einfach, billig und effektiv sind die Würmer, erklärt sie. Eine Gruppe von Bauern ist an diesem Morgen zu Besuch auf der kleinen Farm der Gesellschaft für Agrar- und Forsttechniken (Actaf) am Rande der kubanischen Hauptstadt. Die Finca besteht erst seit einigen Monaten und ist ein Art Klassenzimmer. „Hier gibt es Anschauungsunterricht in Sachen alternativer Landwirtschaft“, sagt Sabín. Sechs Hektar nicht sonderlich guten Bodens sind es, auf denen vorwiegend Gemüse angebaut werden. Salat, Tomaten, Gurken, aber auch Sonnenblumen wachsen auf den sorgsam gehegten Beeten, dazwischen Bohnen und Erbsen. Hühner laufen pickend herum, und eine Kuh grast gemächlich in der Sonne. Kleine Farmen wie diese gibt es in ganz Kuba. Sie sind Bestandteil einer nationalen Kampagne zur Förderung der organischen Landwirtschaft und zur Verbesserung der Bodenqualität.
„Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ist die konventionelle extensive Landwirtschaft in Kuba an ihre Grenzen gestoßen“, gibt Egidio Paez Medina, der Direktor der Einrichtung, unumwunden zu. Herbizide, Düngemittel und vielfältige andere Agrarinputs blieben aus, und man war gezwungen, umzudenken und nach Alternativen zu suchen.
Fündig wurde man unter anderem bei den privaten Kleinbauern, auf die knapp zwanzig Prozent der nationalen Anbauflächen entfallen. Ihre Böden bestellten die Kleinbauern in Ermangelung teurer Agrarinputs, die zumeist für die riesigen Staatsgüter reserviert waren, meist alternativ. In Sachen des Fruchtwechsels, gemischten Anbaus oder biologischen Pflanzenschutzes konnten sich die staatliche Agrartechniker, die 1990 beauftragt wurden, alternative Konzepte zu erstellen, erste Anregungen holen.
Seitdem wird ökologische Landwirtschaft in Kuba groß geschrieben. Die Produktion von biologischen Düngemitteln, Biopestiziden und Bakterien zur Bodenverbesserung wurde aufgenommen, und 1998 konnten immerhin 800.000 Hektar – gut sieben Prozent der Anbaufläche – mit biologischen Pflanzenschutzmitteln behandelt werden. Drei Komponenten stehen dabei zur Verfügung. Erstens die Insektenfresser, also Räuber und Schmarotzer, die wie die Schlupfwespe Eier von Schädlingen parasitiert. Zweitens bedient man sich einer Reihe von Mikroorganismen und aus ihnen gewonnenen Toxinen, die auf Insekten, Milben oder Fadenwürmer tödlich wirken. Die dritte Komponente sind pflanzliche Extrakte, wie das Extrakt des Niembaums oder Tabakbrühen, die Schädlinge vom Befall der Kulturpflanzen abhalten.
Ein Ansatz, der den Initiatoren, der Actaf, 1999 den Alternativen Nobelpreis einbrachte. Ein Netz von 230 über das Land verstreuten Zentren für die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln und mehrere Pilotanlagen für die industrielle Produktion von Biopestiziden gibt es, das kontinuierlich erweitert wird. Parallel zu der aus der Not geborenen Kehrtwende in der Praxis wurde auch der Lehrplan an den Universitäten umgestellt, der seit 1991 Diplome in Agrarökologie vorsieht.
Neue Forschungszentren wurden an der Agraruniversität von Havanna (Unah) eingerichtet, doch das Hauptaugenmerk der Kubaner liegt auf Schulung und Fortbildung der in der Landwirtschaft Tätigen. Schnelle Erfolge sind angesichts der nach wie vor angespannten Versorgungslage dringend gefragt. Musterfarmen wie die der Actaf, die auch eine kleine Zeitung herausbringt, sollen Bauern wie Arbeiter in den Landwirtschaftskollektiven davon überzeugen, den alternativen Weg einzuschlagen.
Ein zweiter Vermittlungsweg führt über die Nationale Vereinigung der Kleinbauern (Anap), deren Mitglieder ihre Erfahrungen weitergeben sollen. Mit der Anap arbeitet auch der Ökumenische Rat der Evangelischen Kirche Kubas zusammen, die mit finanzieller Hilfe von „Brot für die Welt“ seit Beginn der Neunzigerjahre alternative Landwirtschaftsprojekte organisiert und einen Beitrag zur Neuorientierung der Landwirtschaft liefert.
Parallel bemühen sich die Verantwortlichen im Agrarministerium um den Ausbau der internationalen Beziehungen und Kooperationen. Wichtigstes Vehikel ist die internationale Konferenz zur organischen Landwirtschaft, die im Mai in Havanna zum vierten Mal stattfand und zu einem internationalen Forum werden soll, so Eduardo Martínez aus dem Landwirtschaftsministerium. Besuche bei Kooperativen standen in diesem Jahr auf dem Programm, wobei wohlweislich der Tabak- und Zuckersektor gemieden wurde. Denn dort wird nach wie vor der konventionelle Ansatz gefahren.
Zu groß scheint die Angst vor Einbrüchen in der Exportbilanz, als dass man die Umstellung auch hier riskieren würde. Weit gediehen sind auch die Forschungen am Biotechnologischen Institut (CIGB) von Havanna, wo Kubas wichtigste Anbauprodukte, unter anderem Zuckerrohr, Tabak, Kartoffeln und Tomaten, gentechnisch verändert werden. Resistenz gegen Insekten, Pilze und Viren ist das erklärte Ziel, und entsprechende Freilandversuche hat es schon vor Jahren gegeben.
Ein Widerspruch auch in den Augen von Julia Sabín und Egidio Paez Medina. Die mühen sich redlich, den Bauern die organische Landwirtschaft nahe zu bringen und als Weg in die Zukunft zu verkaufen.
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