piwik no script img

Regierung zwingt den ORF auf Kurs

Österreich bekommt Privatfernsehen. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird noch stärker zum Polit-Spielball

WIEN taz ■ Als letztes Land in Europa schuf Österreich gestern die gesetzlichen Voraussetzungen für terrestrisches Privatfernsehen: „17 Jahre nach Deutschland und drei Jahre nach Albanien“, wie die Vertreter der Regierung nicht müde wurden zu betonen.

Die endgültige Abschaffung des Rundfunkmonopols wäre wohl ohne große Kontroverse über die Bühne des Nationalrats gegangen, hätte man nicht gleichzeitig den ORF umgekrempelt: Die bisherige öffentlich-rechtliche Anstalt wird in eine Stiftung umgewandelt, über die ein Stiftungsrat (bisher Kuratorium) wachen soll. Der Generalintendant wird künftig Generaldirektor heißen und soll vom Stiftungsrat mit einfacher Mehrheit gewählt werden (bisher Zweidrittelmehrheit). Diese einfache Mehrheit, so sieht es zumindest die Opposition, hat sich die ÖVP von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gesichert. Mit den Vertrauensleuten der FPÖ hat die Regierung sogar Zweidrittelmehrheit und damit totale Kontrolle. Zwar läuft die Reform unter dem Schlagwort Entpolitisierung, doch das nimmt niemand den Regierungsparteien ab: Zwar sollen Berufspolitiker, die bisher das Kuratorium bevölkerten, im neuen Stiftungsrat keinen Sitz mehr haben. Doch das Entsenderecht für eben diesen Rat liegt weiterhin mehrheitlich bei der Bundesregierung, den Ländern und dem Nationalrat.

SPÖ-Fraktionschef Josef Cap witterte in seiner Rede vor dem Plenum Zensur: „Der Stiftungsrat kann entscheiden, was die Hörer und Seher hören und sehen dürfen.“ Die Grünenabgeordnete Madeleine Petrovic ihrerseits dankte den 45 Nachrichtenredakteuren, die letzte Woche in einer scharfen Resolution die beständigen Interventionen der Regierung in die Programmgestaltung zurückgewiesen hatten. Die telefonischen Beschwerden von FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler sind ebenso legendär wie gefürchtet. Wütend maßregelt er Redakteure, weil sie seiner Meinung nach seine Auftritte nicht ausreichend gewürdigt oder unrichtig interpretiert hätten. Selbst Bundeskanzler Wolfgang Schüssel greift immer wieder persönlich zum Hörer. Und auch ÖVP-Klubobmann Andreas Khol konnte seine Rachegelüste schwer verbergen, als er sich zur Bemerkung hinreißen ließ, „Das Einzige, was sich im ORF ändern wird, ist, dass nicht wie früher die roten G’frieser (Fratzen) aus dem Fernseher rinnen werden.“

Der ORF, Produkt der jahrzehntelangen Koalition von SPÖ und ÖVP, war nie frei von politischen Einflüssen. Kurz nach der politischen Wende hin zur konservativ-freiheitlichen Regierung ging Generalintendant Gerhard Weis auf Kuschelkurs zu ÖVP und FPÖ. Unbequeme Programmverantwortliche wurden stillschweigend versetzt. Doch vor allem die FPÖ, die ihren Drang nach Selbstdarstellung im Fernsehen nach wie vor nicht ausreichend befriedigt sah, wollte mehr. Eine Zeitlang wälzte sie Pläne, eines der beiden ORF-Programme zu privatisieren, was die Anstalt mit Sicherheit ruiniert hätte. FPÖ-Fraktionschef Westenthaler brach zuletzt eine Privatfehde mit Generalintendant Weis vom Zaun und drohte mit einer Klage wegen einer angeblich illegalen Absprache des ORF mit dem Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber, die die Gebührenzahler um eine Milliarde Schilling betrogen habe. Selbst als Jörg Haider zu kalmieren versuchte und erklärte, von einer Klage könne keine Rede sein, wollte Westenthaler nicht zurückstecken.

Auch gestern bei der Parlamentsdebatte war er wieder voller Energie, wusste aber nichts über die Vorzüge der neuen TV-Gesetzgebung, dafür aber viel über die Sünden der SPÖ zu sagen. RALF LEONHARD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen