piwik no script img

Hungerstreik fordert 27. Opfer

Im Konflikt zwischen der türkischen Regierung und den Gefangenen zeichnet sich keine Lösung ab. Eine Lockerung der Isolationshaft bezeichnen die Häftlinge als unzureichend

ISTANBUL taz ■ Der wohl längste Hungerstreik in der Geschichte der Türkei hat gestern erneut ein Opfer gefordert. Der 41-jährige Mahmut Gökhan Özocak starb in einem Haus in Izmir. Er war aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend aus der Haft entlassen worden.

Özocak ist das 27. Todesopfer in dieser seit nunmehr 260 Tagen andauernden Protestaktion. Bis jetzt zeichnet sich immer noch keine Lösung des Konflikts ab. Weder ist die Regierung bereit, mit Vertretern der Hungerstreikern direkt zu verhandeln, noch wollen die Gefangenen oder die Führung der Organisationen, zu denen sie gehören, den Streik abbrechen.

Obwohl Vertreter der Gefangenen in ihren öffentlichen Erklärungen immer wieder betonen, dass sie das so geannnte „Todesfasten“ fortsetzen werden, ist es der Justiz doch gelungen, einige Häftlinge zum Abbruch der Aktion zu bewegen. Darüber hinaus werden seit einigen Wochen alle Hungerstreikenden, die in eine kritische Phase kommen, zwangsernährt. Die letzte Gefangene, die im Gefängnisses starb, kam jedoch trotz Zwangsernährung ums Leben. Von den Gefangenenorganisationen wird die Zwangsernährung als Form der Folter angeprangert, die bei etlichen Betroffenen zu bleibenden Schäden geführt haben soll.

Das Drama des Hungerstreiks ist, dass er öffentlich kaum noch wahrgenommen wird und deshalb auch immer weniger dazu führen wird, dass an den Knastbedingungen etwas Wesentliches verändert wird. Zum einen wird die zentrale Forderung der Gefangenen, weiterhin in Großgruppen untergebracht zu werden, in weiten Teilen der Öffentlichkeit abgelehnt, zum anderen versucht die Justiz, eine Berichterstattung über den Hungerstreik zu unterdrücken.

Die Regierung hat zwei Gesetzesnovellen durch das Parlament gebracht, die es ermöglichen sollen, dass die Gefangenen in den bestreikten Hochsicherheitsknästen an kulturellen und sozialen Veranstaltungen teilnehmen und dass nicht staatliche Organisationen Zugang zu den Gefängnissen bekommen. Die Gefangenen haben beide Gesetzesänderungen als völlig unzureichend bezeichnet, weil die teilweise Aufhebung der Isolation vom Wohlverhaltenen der Häftlinge abhängig gemacht wird und die so genannten unabhängigen Kommissionen aus handverlesenen Leuten besteht, die zudem ihre Eindrücke aus dem Knast nicht veröffentlichen dürfen. JÜRGEN GOTTSCHLICH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen