: Scharon auf Werbetour in Berlin
Europa ist wichtig geworden für den israelischen Ministerpräsidenten, seit die USA sich im Nahen Osten nur noch halbherzig engagieren. Scharon lobt Deutschland für die „ausgeglichene Einstellung“ gegenüber Arabern und Israelis
BERLIN taz ■ Viele Beteuerungen der Solidarität hält der Bundeskanzler für seinen Gast aus Israel bereit – und einen harten Satz. „Wir raten Israel in aller Freundschaft zu mehr Flexibilität in der Siedlungspolitik“, sagt Gerhard Schröder auf der Pressekonferenz mit Ministerpräsident Ariel Scharon. Dieser erwidert, sein Land sei „zu schmerzhaften und großen Konzessionen für den Frieden bereit“. Was er damit meint? Scharon lässt es im Unklaren – und spart das heikle Thema Siedlungspolitik ganz aus.
So läuft es derzeit im deutsch-israelischen Verhältnis: Angesichts des festgefahrenen Friedensprozesses im Nahen Osten kommen diplomatische Begegnungen beider Seiten oft kaum über den Austausch von Förmlichkeiten hinaus. Eine Wende brachte Scharons eintägiger Deutschlandbesuch da sicher nicht, dafür waren die Erwartungen an das Arbeitsessen der beiden Regierungschefs zu gering.
Wie sehr sich die deutsche Seite allerdings immer noch bemüht, alle Gesprächskanäle offen zu halten, zeigte Scharons erster Programmpunkt am gestrigen Donnerstag, eine Begegnung mit Bundespräsident Johannes Rau. Protokollarisch war dies nicht notwendig, der Ministerpräsident ist schließlich nicht Staatsoberhaupt. Doch als Rau Ende Mai in Tel Aviv den „Ignatz-Bubis-Gedenkstipendienfonds für Jüdische Studien“ einweihte, hatte der deutsche Botschafter Rudolf Dreßler ihn eindringlich ermuntert, Scharon zu empfangen. Gerade Rau, der seit langem im deutsch-israelischen Dialog engagiert ist, könne womöglich deutlichere Worte finden, als mancher Berliner Offizielle, lautete die Hoffnung.
Scharons Reise, die ihn gestern Abend weiter nach Paris führte, war in jedem Fall auch ein Versuch, Unterstützung in Europa für seine Position im Konflikt mit PLO-Chef Jassir Arafat zu sammeln. Der Palästinenser versuchte mit einem Interview in der FAZ gegenzusteuern. Gewalt, welcher Art auch immer, solle nicht belohnt werden, sagte Arafat, „Scharon aber wird beides erlaubt: Gewalt und Besatzung.“
Für Israel wie die Palästinenser gewinnt die EU wieder an Bedeutung, seit die US-Regierung unter George W. Bush sich wesentlich zurückhaltender im Nahen Osten engagiert als das Clinton-Team. Scharon scheute sich in diesem Zusammenhang nicht, Deutschland wegen seiner „ausgeglichenen Einstellung“ zu Arabern und Israelis eine „besondere Rolle“ zuzuschreiben.
Im Auswärtigen Amt lehnt man eine förmliche Vermittlerrolle der Deutschen zwar mit schöner Regelmäßigkeit ab, doch sind die Diplomaten derzeit ziemlich stolz auf ihren Chef Bundesaußenminister Joschka Fischer. Nachdem während seines letzten Tel-Aviv-Besuchs in einer Diskothek ein Selbstmordanschlag 20 junge Leute tötete, hatte Fischer erst ohne offizielles Zeremoniell Blumen niedergelegt. Dann erreichte er mit einer Pendeldiplomatie zwischen Scharon und Arafat einen Verzicht der israelischen Seite auf großangelegte militärische Vergeltungsmaßnahmen.
Seitdem habe Fischer bei beiden Seiten enorm an Ansehen gewonnen, sagt einer der höchsten deutschen Diplomaten. Auch Scharon erinnerte an das emotionale Band von Fischers letztem Besuch: „Er war in Israel an dem Tag, als 20 unserer Kinder umgekommen sind.“
Von Scharons Reiseplan gestrichen wurde die Station Brüssel, angeblich aus Termingründen. In Belgien laufen seit Montag Ermittlungen gegen Scharon. Als Verteidigungsminister soll er 1982 zugelassen haben, dass libanesische Milizen in einem israelisch kontrollierten Flüchtlingslager bis zu 1.500 Menschen umbrachten. PATRIK SCHWARZ
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