piwik no script img

kabolzschüsseAuf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Speed Skating

„Kann der Sani bitte mal an die Bahn kommen!“ Drei Mädchen sind gestürzt. In der Kurve verhakten sich ihre Inline-Skates. Ein paar Zuschauer ziehen hastig Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. „Oh Mannomann“, sagt einer. Das Übliche: Hautabschürfungen. Der Sani pinselt Sepso auf die Wunden. Die Mädchen sind tapfer. Sie wollen wieder an den Start gehen.

Stürze gehören zum Alltag einer Sportart, die die direkte Auseinandersetzung sucht. In einem Lauf starten mindestens 5 Rollschuhläufer. Auf den langen Distanzen über zehn und zwanzig Kilometer laufen sogar bis zu 25 Skater gegeneinander. Die Bahn im Sportforum Hohenschönhausen, auf der am vergangenen Wochenende die deutschen Meisterschaften (DM) ausgetragen wurden, ist nur 300 Meter lang. Die Fliehkräfte sind enorm, das Gerangel um die Plätze groß.

Ich erinnere mich, wie das war, wenn man mit nackter Haut über den Asphalt schürft und augenblicklich ein Flächenbrand auf dem Oberschenkel ausbricht. Damals kurvte ich in Erfurt auf einem Oval. Die Eisschnellläufer trainierten im Sommer auf zehn Rollen, damit sie im Training blieben. Ich gewann ein paar Medaillen bei Spartakiaden und durfte auch mal in den Windschatten von Gunda Niemann, vor deren Technik unsere Trainer warnten, denn die frühere Leichtathletin stakste anfangs Furcht erregend über die Strecke.

Krönender Höhepunkt meines Treffens mit Gunda, die meist im Kraftraum Gewichte stemmte, war folgende Begebenheit: Die Frau mit den berstenden Schenkeln ließ mich von ihrer Spezialtrinkmixtur kosten. Wohl aus Mitleid. Sepso-rote Male an Beinen und Armen sagten ihr vielleicht: „Ach Gott, der Kleine, hat’s ihn schon wieder auf die Fresse gehauen.“ Der Drink schmeckte übrigens stark nach Vitamin B. Meine Karriere als skatender Eisschnellläufer wurde abrupt beendet durch einen Sturz vom Baum. Doch wie schaut die Szene heute aus?

Die alte Konkurrenz aus Gera ist immer noch gut dabei. Die Thüringer hatten sich zu DDR-Zeiten auf den schnellen Rollschuhlauf spezialisiert. Wir, die auf Inlines liefen und auf die Rollis umsteigen mussten, wurden von denen immer abgehängt. In den Siebzigern und Achtzigern galten die Rollschuhe als cool. Zu jener Zeit, als die Hosen noch wie Wurstpelle am Leib klebten und man an Kaliforniens Küste noch Afros trug. Vorbei.

Auch die Läufer des RSV Gera laufen heute natürlich Inline. Die Gegner kommen aus Groß-Gerau in Hessen und aus Berlin. In der Hauptstadt wird beim SV Preussen und SC Charlottenburg trainiert, wobei die Preussen erst nach der Wende gegründet wurden. 100 Skater sind im Verein organisiert. Der Nachwuchs wird gefördert. Der SCC dagegen ist ein Sammelbecken von Läufern, die spät zum Skaten gefunden haben und zuerst ihre Muskeln auf Mountainbikes und Skateboardes stählten.

Die DM hatte im Vorfeld ein paar Schwierigkeiten zu überwinden. Die Berliner Abteilung des Deutschen Rollsport- und Inline-Verbands sperrte sich. Bärbel Unterdörfel (SV Preussen) nahm die Organisation daraufhin in die eigenen Hände. Weil der Verband so „knausrig“ gewesen sei, steuerte die Trainerin so erfolgreicher Eisschnellläufer wie Rene Schöfisch und Jaqueline Börner eigenes Geld zu. „Wir sind irgendwo unter der Teppichkante“, sagt die Honorar-Bundestrainerin.

Die Speed-Skater verdienen schlecht. Die besten Deutschen laufen zwar in Privatteams, zum Beispiel die Brüder Zschätzsch aus Groß-Gerau fürs Fila-Team. Sie kriegen aber nur etwa 700 Mark monatlich und müssen sich immer mehr auf Marathonläufe konzentrieren, wo Siegprämien bis zu 5.000 Mark ausgeschüttet werden. Dadurch verlieren die Topleute ihre Sprintfähigkeit. Allrounder gehen freilich nach wie vor auf Strecken von 500 Meter bis 20 Kilometer an den Start. Es gibt auch, dem Radsport vergleichbar, Punkterennen und Mannschaftszeitfahren. An Europas Spitze stehen Frankreich und Italien, weltweit sind die US-Amerikaner und Kolumbianer vorn.

Weil die Speed-Skater so harte Burschen sind, laufen sie sogar bei Regen. Uns war das damals streng verboten. Aus gutem Grund. Der Sani wäre sonst im Dauereinsatz gewesen, zerschundene Epidermis zu pflegen. Und irgendwann war auch die Sepso-Flasche leer.

MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von 0 bis 12: 5 Punkte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen