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„Voller Dank für alles, was Sie sind“

Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange verweist auf ein Leben, das Stoff für unzählige Romane böte: Pauls Liebe zu Ingeborg Bachmann, Gisèles Selbstaufgabe, die Ignoranz der Gruppe 47, der Zusammenbruch

von JÜRGEN BUSCHE

Wären die zwölfhundert Seiten dieser zwei Bände die Materialsammlung für einen großen Roman, dann müsste man dessen Umfang auf das Zehnfache schätzen. Die Briefe des Dichters Paul Celan an seine Frau, die Künstlerin Gisèle Lestrange, und beider Sohn Eric sowie ein sorgfältig nach allen Regeln der Editionskunst erstellter Kommentar, dazu eine 115 Seiten umfassende Zeittafel, die das Gerüst zu einer Biografie der Eheleute gibt. Und einiges mehr. Den Roman gibt es nicht.

Aber die Briefe aus nicht einmal 20 Jahren – von 1951 bis 1970 – ragen heraus aus einer Reihe von Geschichten, die mehr bedeuten als jeder Roman, obgleich mancher aus ihnen geschrieben werden könnte – und wahrscheinlich irgendwann auch geschrieben werden wird. Da ist die schon vielfach angesprochene Liebesbeziehung zwischen Celan und Ingeborg Bachmann.

Diese Geschichte begann in Wien, noch bevor der Dichter seine spätere Frau in Paris kennen lernte. Ende der Fünfzigerjahre traf man sich wieder und nahm wieder auf, was beendet zu sein schien, aber nicht zu Ende war. Und auch auf Deutschlandreisen hernach traf sich Celan mit Ingeborg Bachmann. Davon berichtet Datum für Datum die Zeittafel. Der Briefband aber enthält einen Brief vom 23. Januar 1958, in dem Gisèle Celan-Lestrange vom üblichen „Sie“ zum intimen „Du“ wechselt – die Briefe sind im Original auf Französisch – und in welchem sie verzweifelt versucht, ihren Mann von der Wahrhaftigkeit und dem Wert ihrer Liebe zu überzeugen: „Mein Herz ist voller Dank für alles, was Sie sind.“ Da heißt es nach wenigen Zeilen: „Jetzt ist es Ihnen, endlich, gelungen, mich so zu entdecken, wie ich war, erfüllt von Engstirnigkeit, ohne Großmut, ohne Noblesse, ohne Wahrheit.“ Sie nennt ihr früheres Lieben jämmerlich arm und egoistisch: „Mir ist so kalt, seitdem du weißt, wer ich bin, ich schäme mich so, ich zweifele so sehr an mir.“ Das ist im Weiteren ein zu Herzen gehender Liebesbrief von Selbstaufgabe und Übereignung an den anderen, von Bitten und Beschwören, es ist das Zeugnis einer großen Krise.

Der Kommentar bemerkt dazu, dass dieser Brief „eigentlich eine Zusammenstellung von Stellen aus dem Tagebuch“ der Zeit vom 8. bis zum 20. Januar darstellt. Der Kommentarband zitiert es über das Datum hinaus: „24. Januar/ Gestern habe ich bis spät in die Nacht Ingeborgs Gedichte gelesen. Sie haben mich erschüttert. Ich musste weinen. Welch schreckliches Schicksal. Sie hat dich so geliebt, sie hat so sehr gelitten. Wie konntest du so grausam zu ihr sein. Jetzt bin ich ihr näher, ich akzeptiere, dass du sie wiedersiehst, ich bleibe ruhig.“ Die Geschichte der Liebe zwischen Celan und Bachmann ist möglicherweise ein Roman für sich. Briefband und Kommentar tragen dazu nicht mehr bei als die Bestätigung, dass es diese Geschichte mit dramatischen Spätfolgen gegeben hat. Der Briefwechsel zwischen beiden ist noch unveröffentlicht.

Ein Leben lang Mut

Die Geschichte zwischen Gisèle Lestrange und Celan geht indes dramatisch genug weiter. Die Frau, Tochter aus einer altadligen, sehr katholischen französischen Familie hatte einigen Mut bewiesen, als sie sich mit der Absicht durchsetzte, den staatenlosen, deutsch sprechenden Juden, der zudem beruflich kaum auf glänzende Aussichten verweisen konnte, zu heiraten.

Diesen Mut brauchte sie ihr Leben lang. Aufgrund von Geschehnissen, die in einen anderen Roman gehören, wurde Celans psychischer Zustand in den Sechzigerjahren immer zerrütteter. Er brauchte Behandlung und bekam sie. Aber es war seine Frau, die unermüdlich bestrebt war, das normale Leben mit ihm wieder aufzunehmen. Sie müht sich auch, ihren Sohn Eric zu schützen. Von Celan getrennt wohnend, hat sie ihn bei sich, entzieht ihn seinem Vater. Ende November 1965, in der Nacht, greift der Dichter seine Frau mit einem Messer an. Sie flüchtet mit Eric zu Nachbarn. Wenig später kommt Celan in eine psychiatrische Klinik, in Zwangsjacke. Das alles fasst der Kommentar zusammen. Die schriftlichen Mitteilungen dieser Tage sind in ihrer lakonischen Aussagearmut unverständlich oder trivial. Gisèle wird Paul Celan bis zu seinem Freitod im April 1970 nicht verlassen. Sie selbst stirbt am 9. Dezember 1991 an Krebs.

In dem Briefwechsel steckt auch manches, woraus der Roman über ein erfolgreiches, glanzvolles Künstlerpaar hätte werden können. Da wird scharf beobachtet und mit Witz notiert. Gisèle ist 1965 in Rom, sie nimmt am gesellschaftlichen Leben deutscher Freunde teil. Da ist der Direktor des Goethe-Instituts, Michael Marschall von Bieberstein, da ist Iris, die Tochter von Marieluise Kaschnitz, da ist die Lyrikerin Ingrid Bachér. Man besucht die Oper – „Wir kommen an: wahnsinnige Eleganz, aber alles ziemlich hässlich“ – man begrüßt den Komponisten Hans Werner Henze. „Dann gehen wir in die Via Veneto (Champs-Élysées von Rom, ziemlich uninteressant), um einen Whisky zu trinken.“ Ein Gespräch über Rolf Hochhuth und sein Papst-Stück. Gisèle fasst die unterschiedlichen Ansichten zusammen: Dass sie „sein Verhalten natürlich nicht billigten – Aber zumindest zweideutig – Du kannst dir vorstellen – Kurzum, ein deutscher Abend – Sie vereinfachen, wenn sie nicht zu weit gehen wollen.“

So weit also das, am nächsten Tag etwas anderes: „Am Ende gehe ich jeden Abend sehr spät ins Bett und führe ein mondänes Leben! Ich fühle mich ziemlich wohl inmitten von alledem, was mich hin und wieder erstaunt.“ Es könnte dies der Zipfel eines Romans sein, der zu kurz kommt in dieser Materialsammlung. Immerhin, auch das gibt es.

Die Tragödie des Dichters Paul Celan aus Cernowitz in der Bukowina, dem das Vernichtungssystem der Nationalsozialisten die Eltern raubte und dem selbst er nur mit knapper Not entkam, bildet auch in diesem Briefwechsel den Hauptteil. Zwar ist Celan nach Paris gegangen, zwar wurde er dem Pass nach Franzose – aber von der deutschen Sprache als der Sprache seiner Gedichte kam er nicht los. Zwar fühlte er sich auf Reisen in Deutschland nicht wohl, er spürte früh und immer wieder den alten und auch neuen Antisemitismus, aber er reiste fast pausenlos nach Deutschland. Hier wurde er anerkannt, mit Preisen ausgezeichnet, verehrt. Es waren in Wirklichkeit zwei Erfahrungen über viele Jahre hinweg, die sein Verhältnis zu vielen deutschen Freunden tragisch werden ließen.

Vollendete Verdrängung

Die eine deutete sich früh an. Auch davon erzählt Celan in Briefen an seine Frau. 1952 war der Dichter zu einer Tagung der Gruppe 47 nach Niendorf an der Ostsee geladen. Er las vor und fiel durch. Die Berichte darüber stimmen keineswegs alle überein, aber das Ergebnis ist eindeutig. Celan fuhr nie wieder zu einer Tagung. Er hatte das Gefühl, man wolle ihn dort nicht. Als er später den Büchner-Preis erhielt, erinnerte man sich an ihn für die Herausgabe eines 15-Jahre-Almanachs der Gruppe. Aber auch das war keine erfreuliche Geschichte. Celans Abneigung wurde von Jahr zu Jahr größer. Das bedeutete für ihn insofern eine große Enttäuschung, als Celan sich politisch durchaus als links empfand. So verstand sich wohl auch mehrheitlich die Gruppe 47.

Dennoch bewegte man sich in unterschiedliche Richtungen. Celan war angesichts des sich wiederaufbauenden Deutschland entsetzt über den wiederkehrenden Antisemitismus, über die Gleichgültigkeit, was die Verbrechen der Nazis an den europäischen Juden betraf. Gerade im Gedenken daran waren seine Gedichte entstanden, hatte sich das Pathos seiner Sprache, seines Vortrags entwickelt. Davon wollten die Realisten der Gruppe 47 – ein „Realismus, der nicht einmal erste Wahl ist“, merkte Celan dazu an – nichts wissen. Und überhörten es, wo sie es nicht höhnisch und beleidigend („Wie Goebbels!“) quittierten.

In der erwähnten Anthologie von 1962 beklagte Fritz J. Raddatz, wie hier wiederum der Kommentarband mitteilt, dass in den Texten der Gruppe 47, die bei den Tagungen vorgelesen wurden, „die Worte Hitler, KZ, Atombombe, SS, Nazi, Sibirien“ nicht vorkämen, „die Säle voll Haar und Zähnen in Auschwitz (. . .) wurden nicht zu Gedicht oder Prosa.“ Zu Gedicht waren sie eben in der „Todesfuge“ geworden, die Celan in Niendorf vorgelesen hatte. „Die ‚Todesfuge‘ war ja ein Reinfall in der Gruppe!“, schrieb Walter Jens. Nun, 15 Jahre später, als man der Teilnahme am Ruhm des Dichters wegen etliche Verse Celans in die Anthologie aufnahm, den Dichter dabei klar übers Ohr hauend, war sie vollends vergessen – in der Gruppe 47 zumindest.

„Die Gruppe 47 vollendet meine Verdrängung“, schrieb Celan im Oktober 1962 an seine Frau, und: „Im Spiegel zeigen sich die ‚national-kommunistischen‘ Tendenzen“. Celan hatte erwartet, in der Linken eine politische Heimat zu finden. Genau diese Erwartung erfüllte sich nicht. Für das, was ihm politisch wichtig war, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten, das Unfassliche des Judenmords, hatte die Linke, so konnte es scheinen, nur insoweit Interesse, als der Terror der Nazis gegen die Arbeiterbewegung, die Sozialisten, die Kommunisten gemeint war. Bei denen aber sah Celan jetzt mehr und mehr nationalistische Bestrebungen.

Das andere, was sein Leben über mehr als ein Jahrzehnt verdüsterte und tragisch prägte, war die Goll-Affäre. Celan wurde fälschlich beschuldigt, den Dichter Yvan Goll plagiiert zu haben. In der Diskussion darüber wurde auch von wohlmeinender Seite sein Rang als Dichter in ein missdeutbares Licht gesetzt. Hier sah Celan teils alte Nazis am Werk, teils fühlte er sich von Freunden falsch oder nicht ausreichend verteidigt. Der Briefwechsel mit seiner Frau verrät die Verletztheit. Dies taugt gewiss nicht für einen eigenen Roman, aber es ist ein unrühmliches Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Man kann diese so reiche und vielfältige Briefedition nicht lesen, ohne immer wieder darauf zu stoßen.

Was bleibt?

Was bietet der Briefwechsel, wenn man den hier nicht geschriebenen Roman abzieht? Zum einen etliche Hinweise auf den freundlich wachen Zeitgenossen Paul Celan, der en passant sehr treffende Urteile abgibt: „Einen neuen deutschen Roman gelesen, der mir ein wahres Kunstwerk zu sein scheint: ‚Die Insel des zweiten Gesichts‘ von Thelen.“ Sodann Hinweise auf Freundschaften, über die man gern mehr wüsste: Heinrich Böll, Hermann Lenz, Friedrich Dürrenmatt. Schließlich: der Briefwechsel mit seinem Sohn Eric. Das könnte wieder ein anderer Roman sein.

„Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange: Briefwechsel“. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Hrsg. u. komm. von Bertrand Badiou in Verbindung mit Eric Celan. Anmerkungen übersetzt und für die deutsche Ausgabe eingerichtet von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag Frankfurt 2001, zwei Bände in Kassette, 1.208 Seiten, 24 S. Abb., geb., 168 DM

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