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Rollenwechsel in Tetovo

„Die Welt muss verstehen, dass nicht wir, sondern die Makedonier das Problem in Makedonien sind“, sagt ein Albaner

aus Tetovo ERICH RATHFELDER

Das Café im Hotel Makedonia bietet einen guten Überblick. Von hier aus lässt sich das Geschehen auf dem Hauptplatz Tetovos beobachten, von hier aus blickt man auf den klobigen Betonbau der Hauptpost und die anderen Häuser, die mit ihrer Sechzigerjahre-Architektur noch die Atmosphäre des alten, kommunistischen Jugoslawien atmen. Was aber die hier versammelten Journalisten interessiert, sind die Berge, die unmittelbar hinter dem Marktplatz beginnen. Dort oben ist das Territorium der albanischen Rebellen der UÇK.

Entspannt an ihren Capuccinos nippend, betrachten die Presseleute das Treiben auf dem Platz. Hier vom Cafe aus war noch am Donnerstagabend zu beobachten, wie die Hubschrauber der makedonischen Armee ihre Raketen auf einige Häuser am Abhang der Berge feuerten. Hin und wieder rauschen Polizeiautos und die gepanzerten Fahrzeuge der Armee vorbei. Wen man indes nicht zu Gesicht bekommt, sind die Kämpfer der UÇK.

Die Truppe ist stolz

Scheinbar nicht, denn die könnten genauso gut hier in Tetovo am Nachbartisch sitzen. Als am letzten Freitag die Waffen schweigen, gibt es immerhin die Gelegenheit, die makedonischen Soldaten in ihren Unterständen zu besuchen. Die rund zwanzig Männer, die sich noch wenige Stunden zuvor in der Nähe des Fußballstadions hinter Sandsäcken verschanzt hatten und Ausländern gegenüber misstrauisch und aggressiv waren, stehen jetzt lässig herum. Manche von ihnen haben schon einiges von dem Obstschnaps getrunken, der in Plastikflaschen öfter mal die Runde macht. „Der Waffenstillstand wird hoffentlich halten“, sagt einer von ihnen, der aus Skopje stammt und möglichst schnell zu seiner Freundin nach Hause möchte. „Die Nato wird hoffentlich bald kommen und die da oben entwaffnen“, erklärt ein anderer mit Stirnband und Patronengurten am Oberkörper.

Die Truppe ist stolz. „Wir haben die Straße von Tetovo nach Jashince [ins Kosovo; Anm. der Redaktion] wieder freigekämpft. Unsere Truppen kontrollieren die gesamte Stadt.“ Noch am Vortag hatte die UÇK 300 Meter entfernt auf dieser Straße selbst einen Kontrollpunkt errichtet. Nach einer Schießerei in der Nacht sei sie von dort abgerückt.

Es ist ruhig in Tetovo, ruhig wie seit Monaten nicht mehr. Die im Zentrum der Stadt nebeneinander liegenden albanischen und makedonischen Geschäfte sind geöffnet. Man trifft Bekannte und plaudert ein wenig. Iser (Name geändert), der zurzeit Taxi fährt, macht plötzlich einen Vorschlag. „Wenn du willst, bring ich dich zu denen da oben rauf.“

Der Weg führt an den makedonischen Soldaten vorbei. Sie reagieren nicht. Schon an der nächsten Ecke stehen zwei junge Männer in Zivil. Sie lassen uns passieren. Drei Häuser weiter werden wir von einer Gruppe von bewaffneten Zivilisten empfangen. Es sind Kämpfer der UÇK. „Willkommen im befreiten Territorium,“ sagt einer von ihnen mit einem Lächeln. Er ist offenbar der Anführer. „Entschuldigen Sie, wir sind hier in Zivil.“ Auf den verwunderten Blick hin erklärt Iser: „Die UÇK tritt normalerweise in Uniform auf, weil sie sich als reguläre Armee empfindet und das Kriegsrecht respektiert. Sie will keine Terrorgruppe sein. Aber wegen des Waffenstillstands ist es so besser, um keinen Vorwand für Zwischenfälle zu bieten.“

„Du warst vorhin bei denen“

In den umliegenden Häusern haben sich weitere Gruppen von Bewaffneten verschanzt. Wir befinden uns weniger als 200 Meter von der Stellung der Makedonier entfernt. Von einem Fenster aus sind die Soldaten in ihren Unterständen gut zu erkennen, der Mann mit dem Stirnband nimmt gerade einen Schluck aus einer Flasche. Und einer der UÇK-Leute, mit der Waffe in der Hand, schmunzelt. „Du warst vorhin bei denen. Wir haben alles gesehen.“

„Wir haben die Stellung an der Straße freiwillig geräumt,“ sagt der Anführer. „Wir wollten keine weiteren Kämpfe.“ Die UÇK könnte die gesamte Stadt in wenigen Minuten nehmen, immerhin seien 90 Prozent der Einwohner Albaner. „Wir wollen aber keine zivilen Opfer. Wir hoffen darauf, dass die politischen Gespräche erfolgreich sind.“ Mehr möchte er nicht sagen, das sollten die Kommandeure tun.

„Die UÇK, das sind wir alle“

Aber „Hoxha“, der Kommandeur der 112. Brigade der UÇK und damit der Region Tetovo, zeigt sich nicht. Er habe keine Zeit für Interviews, wird es später heißen. Ist dieser Kommandeur Hoxha etwa der langbärtige ehemalige Krankenpfleger aus Wien, der in den Jahren 1998/99 in der Kosovo-UÇK und später in Tschetschenien gekämpft hat? „Ja, könnte sein, er hat einen langen Bart“, sagt Iser.

Zwei junge Männer möchten nach „unten“ mitgenommen werden. Es sind albanische Studenten aus den Niederlanden, die wegen der brisanten Lage in ihre Heimatstadt Tetovo gekommen sind. Sie haben sich vor einigen Wochen freiwillig bei der UÇK gemeldet. „Es gibt kaum junge Männer, die dies nicht getan haben. Die UÇK hat gar nicht so viel Waffen wie Leute. Die UÇK, das sind wir alle.“ In allen albanisch besiedelten Gebieten Makedoniens seien die Männer mobilisiert. Am Hauptplatz von Tetovo steigen sie direkt neben einer Polizeistreife aus, die keinerlei Verdacht schöpft. Und gehen in ein Cafe, um dort unter lautem Hallo andere junge Leute zu treffen.

Es ist Waffenstillstand. Viele Kämpfer wollen ihre Familien und ihre Freunde besuchen. In einem Albanerviertel im Westen der Stadt zeigten sich UÇK-Leute in Uniform, sagt Iser. Als wir hinkommen, sind sie schon weg. Doch die Zivilisten, die hier sitzen, machen den Eindruck, über vieles bestens Bescheid zu wissen. Ihren Namen sagen möchten sie aber nicht.

„Die Welt muss Els erstes verstehen, dass wir keine Terroristen sind. Die UÇK hat bei allen ihren Aktionen keinen einzigen makedonischen Zivilisten getötet“, behauptet ein 35-Jähriger. „Dagegen greift die Armee die albanischen Dörfer mit Artillerie und mit Hubschraubern an, die Dörfer Vaksince, Slupcane und viele andere sind dem Erdboden gleichgemacht. Hunderte von Menschen, darunter Kinder, sind tot oder schwer verwundet. Wer kämpft also gegen Zivilisten, wer sind die Terroristen?“ Der Mann ist aufgeregt, nippt zur Beruhigung an seinem Kaffee. Bier oder andere Alkoholika gibt es in albanischen Bars und Restaurants nicht. „Bis der Krieg vorbei ist“, sagt der Kellner.

Der Mann ist kaum zu stoppen: „Die Briten kämpfen in Nordirland gegen die IRA, die sie für Terroristen halten. Sind die etwa jemals mit Panzern und Hubschraubern gegen die katholische Zivilbevölkerung vorgegangen? Nein!“ Der „Bloody Sunday“ von 1972, als britische Fallschirmjäger in Derry 14 Demonstranten erschossen, ist ihm kein Begriff. Er fährt fort: „Die Welt muss auch verstehen, dass nicht wir, sondern die Makedonier das Problem in Makedonien sind, weil die Makedonier nicht verstehen wollen, dass sie den Staat nicht allein für sich usurpieren können, weil hier nicht nur slawische Makedonier, sondern auch Albaner, Türken, Serben, Roma, Bulgaren und slawische Muslime leben. Es muss in Makedonien Gleichberechtigung geben.“ Das sei das Ziel des Kampfes der UÇK.

Warten auf die Nato

„Wird sich die UÇK entwaffnen lassen?“ – „Unter der Voraussetzung, dass tatsächlich die Verfassung geändert wird und ein ernsthafter Kompromiss zustande kommt. Ich kann aber nicht offiziell sprechen. Ali Ahmeti [der Sprecher der UÇK; Anm. d. Red.] hat das der Nato zugesagt. Wir wollen, dass Nato-Truppen hier im Lande sind, und zwar für einen längeren Zeitraum. Die internationalen Vermittler sollen den politischen Prozess überwachen. Niemand will kämpfen, nur um zu kämpfen. Wir wollen ein normales Leben führen.“

Am Marktplatz von Tetovo sitzen noch immer die Kameraleute auf ihren Plätzen im Cafe des Hotels Makedonia. Und haben nach wie vor keinen einzigen UÇK-Kämpfer ausgemacht. Der Platz sieht nicht anders aus als vor drei Stunden. Junge Männer flanieren auf und ab, unterhalten sich. Vor Stunden könnten sie „oben“ bei ihren Kampfgenossen der UÇK gewesen sein.

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