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Erinnern, aufklären und versöhnen

Otto Rosenberg, der langjährige Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Berlin/Brandenburg, wurde gestern beerdigt. Das letzte Projekt des Auschwitz-Überlebenden war das zentrale Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma am Reichstag

Als die Nationalsozialisten Berlin im Juni 1936 „zigeunerfrei“ machten und seine Familie internierten, war Otto Rosenberg acht Jahre alt. Das so genannte Zigeuner-Zwangslager neben den stinkenden Rieselfeldern in Berlin-Marzahn war der Vorhof zur Hölle: Auschwitz-Birkenau. Hierher wurde Otto Rosenberg 1943 verschleppt. Da war der 1927 in Ostpreußen geborene Sohn einer der ältesten, seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland lebenden Sinti-Familien gerade einmal 15 Jahre alt. Seine Eltern und elf Geschwister wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet, er selbst wurde von der SS erst nach Buchenwald, dann in die unterirdischen Stollen von Mittelbau-Dora geschickt. „Ich hatte Hass im Herzen“, sagte er einmal über die erste Zeit nach 1945, als er mit 18 Jahren feststellen musste, dass er der einzige Überlebende seiner Familie war.

Jahrzehntelang schwieg Otto Rosenberg über seine Erfahrungen. Im Mittelpunkt standen das Leben in einer Bundesrepublik, in der die Diskriminierung und Ausgrenzungen von Roma und Sinti nach 1945 nahtlos fortbestanden, und die Musik: Zunächst die eigenen Auftritte in Kaffeehäusern, später managte er die Karriere seiner Tochter, der Sängerin Marianne Rosenberg. In den 70er-Jahren gehörte Otto Rosenberg zu den Mitbegründern der Cinti-Union und wurde 1982 deren Vorsitzender. Sein jahrelanges Engagement war 1989 erstmals von Erfolg gekrönt. Da entschied das Berliner Abgeordnetenhaus, dass Sinti und Roma nach dem Berliner Gesetz über politisch und rassisch Verfolgte Anspruch auf eine Entschädigung haben.

Seine persönliche Verfolgungsgeschichte erzählte Otto Rosenberg schließlich 1998 in dem Buch „Das Brennglas“. Im gleichen Jahr erhielt er das Bundesverdienstkreuz und kämpfte hartnäckig weiter für Verständigung und Aussöhnung: Bundespolitisch für ein Mahnmal am Reichstag für die 500.000 im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, lokal in Diskussionen mit Schulklassen und als Vorsitzender des Berlin/Brandenburger Landesverbands Deutscher Sinti und Roma. Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte er anlässlich der Ausstellungseröffnung „NS-Völkermord an den Sinti und Roma“ Anfang März, wo er noch einmal eindringlich an die Öffentlichkeit appellierte, sich für die im ehemaligen Jugoslawien verfolgten Roma einzusetzen. Am vergangenen Donnerstag starb Otto Rosenberg mit 74 Jahren nach schwerer Krankheit in Berlin. Gestern wurde er unter großer Anteilnahme auf dem Neuen St.-Michael-Friedhof in Tempelhof beigesetzt. HEIKE KLEFFNER

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