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Der Aufstand der Generation Blair

Bei den Unruhen im Norden Englands geht es nicht primär um Rassismus. Vielmehr fühlt sich die Jugend der von Deindustrialisierung gebeutelten Region insgesamt von der Politik nicht vertreten. Aber politisch nützt das den Rechtsextremen

von DOMINIC JOHNSON

Oldham, Burnley, Bradford: Nordengland brennt. Als Englands heißer Sommer vor sechs Wochen in Oldham begann, hielten das führende asiatische Publizisten Großbritanniens noch für einen Sonderfall. Das „rundherum vernachlässigte“ Oldham sei eine Sache, schrieb Ziauddin Sardar im New Statesman – im kosmopolitischen Bradford, „einer eklektischen Mischung aus Rassen und Klassen“, würde das nicht passieren. Nun hat Bradford, die Hauptstadt des pakistanischen und bengalischen England, die schwersten Unruhen Großbritanniens seit Jahren erlebt.

Wie so oft war das eine Verkettung unglücklicher Umstände. Hätte Bradfords Stadtverwaltung am Freitag nicht den für Samstag geplanten Abschluss eines multikulturellen Stadtfestes aus Angst vor einer Kundgebung der rechtsextremen „Nationalen Front“ (NF) abgesagt, dann hätten linksradikale Antifa-Gruppen vielleicht keine eigene Gegendemonstration organisiert. Wäre am Samstagnachmittag die Polizei nicht abgezogen, als der NF-Marsch nicht stattfand, hätten herumlungernde Rechte und Antifas nicht direkt aufeinander losgehen können. Und warum konnten die militanten Asiaten am Samstagabend nach dem Ende ihrer großen Straßenschlacht mit der doch noch angerückten Polizei nicht nach Hause gehen, anstatt Brände zu legen und damit Racheakte weißer Rassisten zu provozieren?

Nun schimpft die Lokalzeitung. „Gutmeinende Politiker und Sprecher der selbst verewigenden Antirassismusindustrie“, so die Yorkshire Post gestern, würden „dieses kriminelle Verhalten als unausweichliche Konsequenz einer entfremdeten Minderheitsbevölkerung weg erklären, die, verzweifelt und verarmt, mit demokratischer Politik desillusioniert ist“.

Dabei ist diese Sicht der Dinge gar nicht so falsch, außer dass sie nicht auf die asiatischstämmige Jugend Nordenglands allein zutrifft, sondern auf die Jugend der Region insgesamt. Die Deindustrialisierung der nordenglischen Industriestädte seit der Ära Margaret Thatchers hat die Arbeiterkultur und das Selbstverständnis ihrer Bevölkerungen ersatzlos zerstört. Das gilt vor allem für die Textilstädte wie eben Oldham, Burnley und Bradford, deren Industrie einst Migranten aus Asien anwarb und dann selbst nach Asien auswanderte. Weder für weiße noch für asiatischstämmige Jugendliche gibt es dort heute vorgezeichnete, erlernbare Lebenswege. Alle müssen ihren Weg auf eigene Faust suchen und konkurrieren dabei um die knappen Arbeits- und Ausbildungsplätze. Unter der Regierung von Tony Blair sind sie überdies einer aufdringlichen Rhetorik über die Notwendigkeit der richtigen moralischen Einstellung und der permanenten nachweisbaren Anstrengung ausgesetzt, die auch den gutwilligsten Schulabgänger auf die Barrikaden treiben kann.

Rassische Trennungen spielen da keine große Rolle. Der asiatischstämmige Teil der nordenglischen Jugend fühlt sich genauso britisch wie die weißen Altersgenossen und gibt sich heute genauso hemmungslos Alkohol, Drogen und Gewalt hin, wie es unter den Weißen schon immer üblich war. Aber während weiße Straßengangs bloß Diskussionen über die Verkommenheit der Jugend provozieren, führt das Aufkommen ihrer asiatischen Gegenstücke genervte Anwohner zu Fragen, was diese Leute eigentlich hier zu suchen hätten.

Politisch vertreten fühlen sich Nordenglands Jugendliche nicht. Bei den Unruhen vom Samstag gingen in Bradford Parteibüros von Labour und Konservativen in Flammen auf. Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni war die Wahlenthaltung in den nordenglischen Städten am höchsten, besonders unter Erstwählern. „Der Niedergang der Lokalverwaltungen, das Aufkommen nichtgewählter Gremien und ernannter Berater anstelle gewählter Volksvertreter sowie die vermutete Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber den ärmeren Teilen der Gesellschaft entfernen die Menschen vom System“, analysiert die linke Antirassismuszeitschrift Searchlight. Davon profitiert aber die extreme Rechte, die am 7. Juni in Gestalt der „British National Party“ (BNP) mancherorts beachtliche Stimmenanteile errang: 11,3 Prozent in Burnley und 16,4 Prozent für BNP-Chef Nick Griffin in Oldham-West. Nicht zufällig waren das die ersten Brennpunkte der Gewalt.

Schon im Februar, als die Polizei von Oldham sagte, 60 Prozent der rassistischen Angriffe in der Stadt würden von Asiaten gegen Weiße verübt, prognostiziertem BNP-Führer Griffin einen „heißen Sommer“. Seine Strategie beschrieb er so: „An vorderster Front jeder Bewegung stehen, um den politischen Willen weißer Innenstadtgemeinschaften nach territorialer Kontrolle auszudrücken und zu organisieren.“ Er forderte die Teilung Oldhams nach dem Muster von Belfast und schürte den Hass von Weißen gegen Asiaten: „Während sie unsere Kneipen zerdeppern, müssen wir ihre Läden boykottieren“, stand auf einem in Oldham verteilten BNP-Flugblatt.

Langfristig nimmt sich die BNP Frankreichs „Front National“ (FN) zum Vorbild und hofft auch, unter Englands konservativen Wählern von der Dauerkrise der britischen Tories zu profitieren. Straßengewalt lehnt sie ab – und zieht sie zugleich als Bestätigung der Unmöglichkeit eines Zusammenlebens der Ethnien heran. „Großbritannien gleicht mehr und mehr Libanon oder Jugoslawien“, steht in der jüngsten Ausgabe der BNP-Zeitung Identity. Der Titel des Jubelartikels: „Move On and Move Up!“

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