: „Nun kriegen sie mich“
Der tadschikische Journalist Atovulloev hat Angst. Er sitzt in Moskau im Knast. Bei Auslieferung drohen ihm Folter und Tod
von MARCUS BENSMANN
Der tadschikische Journalist Dododjon Atovulloev, 46, sitzt seit Donnerstag im Gefängnis der russischen Transportpolizei in Moskau. Tadschikistan hat den Herausgeber der Exilzeitung Tscharogi Rus („Tageslicht“) zur Fahndung durch das Komitee zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens der GUS-Staaten ausschreiben lassen und fordert die Auslieferung. Dem Journalisten drohe dort Folter und eine mehrjährige Haftstrafe, fürchtet die Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, Barbara Petersen. „Es besteht die Gefahr, dass Dododjon in Tadschikistan umgebracht wird“.
Die tadschikische Staatsanwaltschaft wirft Atovulloev vor, in einem Artikel in der russischen Nesavsimaja Gaszeta vom 31. Januar Präsident Emomali Rochmonow beleidigt, zum Umsturz aufgerufen und interethnische Konflikte geschürt zu haben. Atovulloev hatte in dem Artikel in drastischer Weise die Korruption in seinem Heimatland angeprangert und die Verwicklung der tadschikischen Machtelite in den Opiumhandel aufgezeigt.
Der Anwalt Atovulloevs erklärte am Montag in Moskau, dass niemand aufgrund journalistischer Tätigkeit ausgeliefert werden dürfe. Das Begehren Tadschikistans sei verfassungswidrig. Sollte jedoch der russische Staatsanwaltschaft Wladimir Ustinow der Auslieferung trotzdem zustimmen, würde Atovulloev innerhalb weniger Stunden den tadschikischen Behörden übergeben. Rechtsmittel hätten keine aufschiebende Wirkung. Der politische Druck auf Ustinow sei sehr hoch, besonders der Chef von Putins Präsidialadministration, Alexander Wolochin, befürworte die Auslieferung, erklärte der Anwalt: „Nur öffentlicher Druck kann meinen Klienten retten.“
Am Sonntagabend konnte Atovulloev für drei Stunden in seiner Zelle ein Mobiltelefon benutzen. Seine Stimme klang bei einem Anruf tief bedrückt: „Ich glaube, es ist alles vorbei, nun kriegen sie mich doch.“
Der tadschikische Staat verfolgt den Journalisten seit 1993. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat er mit Tscharogi Rus die erste private Zeitung Zentralasiens gegründet. Der Bürgerkrieg in Tadschikistan, 1992 bis 1997, zwang ihn ins Exil nach Moskau. Dort gründete er seine Zeitung neu. Mit ihr und als Autor in russischen und internationalen Medien wurde Atovulloev zum stärksten Kritiker der Machthaber in Tadschikistan und des Präsidenten. Als Atovulloev vor einem Jahr in russischen Zeitungen schrieb, die tadschikische Regierung unterstütze die muslimischen Rebellen, die seit zwei Jahren von Tadschikistan aus die Nachbarn Kirgistan und Usbekistan überfallen, versuchte die tadschikische Regierung seiner habhaft zu werden.
Damals weigerte sich Russland noch, wie all die Jahre zuvor auch, den Journalisten auszuliefern. Atovulloev wurde gewarnt, dass man ihn mit Hilfe krimineller Banden in Moskau beseitigen wolle. Im Mai bekamen er, seine Frau und seine beiden Kinder daraufhin ein Jahresstipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.
Kurz vor seiner Abreise nach Hamburg hatte Atovulloev eine Sondernummer der Tscharogi Ruz herausgebracht, in der er beschrieb, wie der Bürgermeister von Duschanbe mit Hilfe von Korruption und Wirtschaftskriminalität zu einem der mächtigsten Männer Tadschikistan aufgestiegen ist. Der tadschikische Präsident Rochmonow und der Bürgermeister erreichten bei einem Besuch in Moskau nun doch, dass Atovulloev am 16. Juni auf die Fahndungslisten gesetzt wurde, sagt der Anwalt Atovulloevs. Als der Journalist am Donnerstag über Moskau nach Taschkent fliegen wollte, schnappte die Falle zu. Atovulloev hatte noch Glück, dass der wachhabende Polizist am Flughafen Scheremetovo I sich weigerte, ihn direkt dem tadschikischen Geheimdienst und dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB auszuliefern, die am Flughafen die sofortige Übergabe forderten.
Inzwischen wird Atovulloevs Anwalt der Zugang zu seinem Mandanten verweigert. Dem Inhaftierten droht die Verlegung in ein anderes Gefängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen