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Kanzlers Offensive

Schröders Ansicht zum Umgang mit Sexualstraftätern löst pünktlich zur Sommerpause eine heftige Debatte über ein hochsensibles Thema aus

BERLIN taz/dpa ■ Nach faulen Lehrern und Arbeitslosen hat Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Thema Sexualstraftäter nun ein richtig heißes Eisen angefasst. Vor dem Hintergrund des gewaltsamen Todes der achtjährigen Julia in Hessen hatte Schröder in einem Interview gesagt, er komme „mehr und mehr zu der Auffassung, dass erwachsene Männer, die sich an kleinen Mädchen vergehen, nicht therapierbar“ seien. Deshalb könne es „nur eine Lösung geben: wegschließen – und zwar für immer“.

„Was der Kanzler hier fordert, ist bei Sexualmorden an Kindern schon gegenwärtige Rechtslage“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck. Er bemängelte aber ein Qualitätsdefizit in der Therapie der Täter.

Der Verein deutscher Strafverteidiger kritisierte Schröders Vorstoß heftig. Der Kanzler trage zu einer „gefährlichen Spirale“ im Umgang mit Schwerverbrechern bei, sagte Vereinschefin Regina Michalke. Auch der Hamburger Kriminologe Fritz Sack warnte vor Forderungen nach Höchststrafen: „Beim nächsten schrecklichen Fall besteht die Gefahr, dass diese Forderungen eskalieren und Rufe nach der Todesstrafe laut werden.“ Wer glaube, Straftäter durch höhere Strafen besser kontrollieren zu können, „streut Sand in die Augen der Öffentlichkeit“, so Sack.

Aus ganz anderer Perspektive greift CDU-Chefin Angela Merkel Schröders Forderung an. Die SPD habe entsprechende Initiativen der Union bislang stets „glatt abgelehnt“, sagte Merkel. Es sei „unerträglich, jetzt populistische Forderungen zu erheben, denen keine Taten folgen“. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach sprach sich dagegen erneut dafür aus, die Gendatei auszuweiten. Jeder, der wegen einer Sexualstraftat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, solle zur Abgabe eines Gentests verpflichtet werden, sagte Bosbach.

Unterstützung findet Schröders Vorstoß bei Hamburgs Innensenator Olaf Scholz und Brandenburgs Sozialminister Alwin Ziel, beide SPD. Spätestens nach der zweiten Tat müsse der Täter in der Regel Sicherheitsverwahrung bekommen, sagte Scholz gestern. Vorrang müsse der Schutz der Opfer haben. „Wir brauchen dringend gesetzliche Änderungen, damit nicht therapierbare oder -willige Sexualstraftäter hinter Schloss und Riegel kommen“, fordert Ziel, der auch für den strafersetzenden Maßregelvollzug zuständig ist.

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