tamtürktür . . . der wahre türke
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von BJÖRN BLASCHKE

„Achte mal drauf: Da halten Frau und Mann fast nie Händchen. Aber Schwule, die gehen offen Hand in Hand.“ So lautete einer der vielen Tipps eines etwas verklemmten Freundes, bevor ich zum ersten Mal in die Türkei reiste. Nach meiner Ankunft hielt ich den Mann für spilackert: Schon in Istanbul beobachtete ich, wie Weib- und Männlein Arm in Arm promenierten und einander liebevoll pöngelten. Und später erst, im Süden der Türkei: Da führten mir bei verschiedenen Disco-Besuchen türkische Frauen und Männer vor, dass sie – wie normale Menschen auch – durchaus eng umschlungen zu hotten wissen. Und ich sah, dass es nicht nur gurren war: Ungezügelt loteten sie mit ihren Zungen die Tiefen ihres Gegenübers aus!

Erst im Osten der Türkei sah ich es dann: In den Teegärten flanierten ungewöhnlich viele Männer Hand in Hand. Als aufgeklärten jungen Mann störte mich das rein gar nicht. Im Gegenteil: Jeden Tag saß ich stundenlang in den kühlen, weil schattigen Teegärten herum und schaute dem schamlosen Treiben zu. Hatte mein verklemmter Freund also Recht behalten! Warum aber, fragte ich mich, warum gibt es das in unserem ach so toleranten, modernen Deutschland so selten – Schwule Hand in Hand lustwandelnd . . . ?

Irgendwann lud mich ein Türke in sein Haus ein. Eine Woche lang aß und schlief ich unter dem Dach von Ziyas Familie und bekam so einen Einblick in den türkischen Alltag. An einem Sonntag dann schlug Ziya mir vor, zu einem Spaziergang auszugehen. Warum nicht?, dachte ich, bis ich unterwegs eine Antwort auf diese Frage bekam: Plötzlich ergriff Ziya meine Hand. Ich zeigte keine Gegenwehr, obwohl mir die Nackenhaare zu Berge standen und es mir zugleich heiß und kalt den Rücken herunterlief. Ich war fassungslos: Im tiefsten Anatolien lief ich mit einem Mann herum – Hand in Hand! In einem Teegarten tätschelte er mir auch noch die Finger, nachdem ich ihm Feuer für seine Zigarette gegeben hatte. Nickend lächelte er mir zu, „Danke“ . . .

Noch am selben Abend packte ich meine Tasche. Mir war zwar klar, dass ich ebenso verklemmt war wie jener Freund in Deutschland, und die Grundfesten meines Selbstbildes vom aufgeklärten, toleranten Heterosexuellen schaukelten ohnehin bedenklich hin und her. Aber ich wollte mir meine Hände eben nicht von Bambursas tätscheln lassen. Kurz: ich floh diesen ungenannten Ort, der mir so viel Pein gebracht hatte.

In dem Überlandbus, der mich wieder in den zivilisierten Westen der Türkei bringen sollte, lernte ich zwei junge deutsche Frauen kennen. Zusammen mit ihnen wurde ich nochmals eingeladen. Wir sollten bei einem Junggesellen in Gaziantep, unweit der Grenze zu Syrien, übernachten, um am darauf folgenden Tage seine Heimatstadt zu erkunden. Doch auf dem Weg vom Busbahnhof zu ihm nach Hause passierte es: Der Mann nahm mich bei der Hand. Während wir so die nächsten 200 Meter dahingingen, fragte er, gefährlich nah an meinem Ohr lüstern flüsternd: „Du bis mit swei Fraue underwegs, weche gebst du mir ab?“