Neue Chancen für Flatrates

Die meisten Anbieter von Internetzugängen mussten ihre Pauschaltarife wieder vom Markt nehmen. Aber jetzt prüft die Bonner Regulierungsbehörde zum ersten Mal die Preise, mit denen die Telekom ihre Konkurrenz zur Kasse bitten will

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Kaum eine Entscheidung des Staats hat die Telekom so verärgert wie diejenige vom letzten Dezember. Damals hatte die Regierulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Bonn angeordnet, das immer noch mehrheitlich staatliche Unternehmen habe seinen Konkurrenten auf dem Markt der Internetzugänge eine so genannte Großhandelspauschale anzubieten. Die Telekom zog umgehend vor Gericht und bekam Recht, zum Nachteil ihrer Kunden allerdings, die mit ISDN-Anschlüssen für eine Pauschale von 79 Mark im Monat ohne Zeitbegrenzung mit der Telekom Tochter T-Online lossurfen konnten.

Aber am 1. März war dieser Spaß vorbei. Der viel nachgefragte Pauschaltarif wurde eingestellt – und schon am 16. März entschied das Oberverwaltungsgericht Münster wunschgemäß, die Telekom könne nun auch nicht mehr verpflichtet werden, ihren Konkurrenten ein Pauschalangebot zu machen.

Beinahe alle Provider mussten in der Folge ihre eigenen Flatrate-Angebote wieder einstellen – der Erfolg trieb sie in die Pleite. Manche Kundem benutzten den Pauschaltarif schlicht dazu, eine Standleitung aufzubauen. Aber auch abgesehen von solchen Fällen krassen Missbrauchs hatten sich alle verrechnet und gegen alle Wahrscheinlichkeit angenommen, dass sich die Art, das Internet zu nutzen, nicht wesentlich ändern werde. Doch die bislang knausrig auf den Gebührenzähler schielenden Kunden begannen nun erst richtig zu entdecken, was das Internet bot. Stundenlange Chats, serienweise Downloads bei Napster, Internetradio und sogar Videoclips waren nun plötzlich erschwinglich geworden. Nur die Zwischenhändler gingen leer aus, denn sie mussten die längeren Onlinezeiten ihrer Kunden nun bei der Telekom bezahlen, die gar nicht daran dachte, ihren Zähler am Übergabeknoten abzustellen.

Aber mit dem Ende der ersten Welle von Pauschaltarifen im schmalbandigen ISDN-Netz ist der Streit noch lange nicht ausgestanden – und auch die Telekom kann ihren vorläufigen Sieg im Eilverfahren vor dem Gericht nicht so recht genießen. Schuld daran ist sie selbst. Sie wollte einer juristischen Niederlage in jedem Fall zuvorkommen und hatte überraschend schon im Dezember eine Goßhandelspauschale angeboten – die Regulierungsbehörde hatte als Frist den Februar dieses Jahres gesetzt. Seit letzter Woche untersucht nun das Bonner Amt völlig unabhängig vom Ausgang des Hauptverfahrens die Einzelheiten dieses Tarifmodells.

Teure Einzelkunden

In stiller Amsthilfe hat sich AOL Deutschland des Zahlenwerks angenommen und eine Studie erarbeitet, die den Marktwächtern seit letzter Woche zur Prüfung vorliegt – der Doppelpass zwischen Behörde und der unter der Herrschaft von Bertelsmann stehenden deutschen AOL-Tochter unterläuft das Urteil der Münsteraner Richter, wonach die Regulierungsbhörde lediglich tatsächlich verlangte Preise prüfen darf, jedoch nicht befugt ist, von sich aus Vorschriften über ganze Tarifmodelle zu erlassen: Solange die Telekom ihre bisher ungenutzte Großhandelspauschale nicht förmlich zurückzieht, darf die Bonner Behörde selbst dann darüber entscheiden, wenn die Telekom auch auf Dauer gar nicht verpflichtet wäre, ein solches Angebot zu machen.

Ein juristischer Leckerbissen also in jedem Fall, der neue Chancen eröffnet, auf diesem Umweg doch noch erschwingliche Internetpauschalen zu erzwingen. AOL selbst hält an der Zielmarke einer monatlichen Flatrate von „unter 50 Mark“ fest. Am Montag ließ sich Gerald Levin, Chef des Mutterkonzerns AOL-Time Warner höchstselbst herbei, sich in die innerdeutschen Streitereien einzumischen. Auf einer Konferenz der SPD in Hamburg warnte Levin davor, dass Deutschland im elektronischen Handel wegen seiner „teuren und zeitgebundenen Zugangskosten“ gegegenüber dem Rest der Welt „weit zurückfallen“ werde.

Levin konnte auf das Papier seiner deutschen Angestellten verweisen. Danach macht die Telekom ihrem schlechten Ruf alle Ehre. Der De-facto-Monopolist auf den letzten Metern zum privaten Haushalt verlangt für jeweils dreißig nutzbare ISDN-Kanäle bei seinen Konkurrenten zunächst einmal 4.800 Mark im Monat. Nur hat ein privater Zugangsvermittler, der annehmbare Leistungen bieten möchte, damit noch nichts Brauchbares eingekauft. Er müsste die gesamte Bandbreite (bescheidene 2 Megabit pro Sekunde) des Pakets unter seinen Kunden aufteilen, die sich damit plötzlich wieder in der analogen Steinzeit wiederfänden. Für echte ISDN-Anschlüsse müsste er jeweils mindestens einen der dreißig Pauschalkanäle exklusiv reservieren. Wohl wissend, dass nur das marktfähig ist, verlangt die Telekom dafür noch einmal 160 Mark monatlich. Jeder Kunde kostet den Provider über den Sockelbetrag hinaus noch einmal 1.920 Mark im Jahr reine Telefongebühr: Flatrates unter 50 Mark sind damit ausgeschlossen.

Nun räumen auch die Kopfrechner der AOL ein, dass exklusiv nutzbare Kanäle Kosten verursachen. Das „Szenario“ sei in dieser Hinsicht schwer zu durchschauen. Im schlimmsten Fall kommen sie auf Zusatzkosten von 850 Mark, können sich aber ebenso „dramatisch niedrigere“ Summen vorstellen. Die Telekom wird der Behörde ihre Kalkulation in jedem Fall offen legen müssen und damit Richtwerte setzen, an denen sich die Forderungen nach realistischen Pauschalen in Zukunft orientieren können. Und falls die Tochter T-Online unter Konkurrenzdruck doch wieder ISDN-Flatrates anbieten sollte, wäre die hausübliche, aber verbotene Quersubvention zumindest erschwert.

Noch hofft die Telekom aber darauf, dass die Konkurrenz der kleinen Anbieter den vermutlich monatelangen Streit um Pfennige nicht übersteht, und bietet mit unvermindertem Werbeaufwand ihre eigene andere Art der Pauschalen an: die Flatrate für T-DSL-Anschlüsse. Ein spezieller technischer Standard schützt den Monoplisten auf diesem Gebiet vor unliebsamer Konkurrenz, und ohnehin kostet das Versprechen zurzeit keinen Pfennig. Denn wer einen Anschluss an das von der Telekom zu Unrecht als „Breitband“ angepriesene Netz – die Durchsatzrate liegt unter 1 Megabit pro Sekunde – beantragt, muss mit monatelangen Wartefristen rechnen.

Und wenn das technisch längst überholte T-DSL-Netz einmal wirklich überall zur Verfügung steht, kann das alte Spiel von neuem beginnen. Da auch dafür die bereits verlegten Leitungen zu den Privathaushalten genutzt werden, besteht ein Wettbewerbsrecht für andere Anbieter – die nächste Beschwerde vor der Regulierungsbehörde ist dann nur noch ein Frage der Zeit. niklaus@taz.de