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„Talent ist kein Ist-Zustand“

An der Hamburger Gesamtschule Alter Teichweg werden junge Nachwuchskicker mit vier Schulstunden Fußball pro Woche gefördert. Neben Technik, Taktik und Körperbeherrschung soll ihnen in erster Linie die Lust am Spiel nahe gebracht werden

aus Hamburg JÖRG FEYER

Basketball gilt als körperloses Spiel. Doch in der Turnhalle der Gesamtschule Alter Teichweg balgt an diesem Vormittag ein Knäuel aus Kindern am Boden um das Wurfobjekt. Der gewollte Regelverstoß macht Sinn: Robustes Zweikampfverhalten gehört schließlich ebenso zum großen Fußballeinmaleins wie gutes Ballgefühl. Das trainieren die 16 Jungs der 6. Klasse aus den Jahrgängen 1988/89 später mit Jonglierpyramiden: Spann, Schenkel, Kopf, Schulter – und die motivierende Frage von Steffen Brauer: „Balletttänzer oder Holzfäller?“

Brauer, 33, steht dem Projekt „Sportbetonte Klasse“ in Hamburg-Dulsberg seit dessen Start vor drei Jahren vor. Damals suchte der benachbarte Olympiastützpunkt des Schwimmverbandes zwecks langfristiger Standortsicherung einen Kooperationspartner; Schwimmen, so Brauer, sei „nicht gerade klassenfüllend“. Fußball schon: Über 200 Anfragen gingen für die erste Sichtung ein; vom Erstkontakt bis zur Einschulung der Auserwählten vergeht heute ein gutes Jahr. Inzwischen ist das Interesse mit rund 60 Bewerbern rückläufig. Info-Abende in Stadtteilen und Plakate in der Hallenrunde, wo Kinder und Eltern im Winter wöchentlich zusammenströmen, sollen bewirken, dass in der Gesamtschule mehr als die bisher „zehn bis 25 Prozent der Spitze eines Jahrgangs“ (Brauer) versammelt sind.

„Der Informationsweg funktioniert nicht so gut“, fürchtet der angehende Diplomsportlehrer und berichtet von Eltern, die zufällig vom Projekt erfahren haben und nicht von den Vereinen, deren Jugendwarte vom Hamburger Fußball-Verband (HFV) angeschrieben wurden. Neben kooperationsbereiten Klubtrainern, die Brauer sogar zur Vereinsübungsstunde einladen, gibt es eben auch skeptische, die ihre Talente ungern teilen. Zumal die etablierten Großklubs dem Projekt ohnehin die kalte Schulter zeigen. So kam vom HSV in drei Jahren genau ein Kind – auf Initiative der Mutter.

„Die Vereine schießen damit ein Eigentor“, glaubt Brauer, man bilde ja „zusätzlich für die Vereine aus“. Dass der höhere Ausbildungsstand einige Kinder dann auch für andere Klubs attraktiv mache, sei „der normale Lauf der Dinge. Die gehen auch ohne uns, wenn sie in ihrem Verein unterfordert sind.“ Enttäuscht ist er aber in erster Linie von den Traditionsvereinen, „die sowieso von uns profitieren, weil es hier nur wenige Regionalliga-Mannschaften gibt, in denen unsere Kinder später spielen können“.

Die Befähigung dazu sollte am Ende des sechsjährigen Weges in der 10. Klasse erreicht sein. Vier Schulstunden Fußball in zwei Trainingsblöcken stehen bis dahin wöchentlich auf dem Stundenplan. Nimmt man das Vereinstraining hinzu und den Umstand, dass einige Kinder zusätzlich noch an einem HFV-Stützpunkt gefördert werden, sind manche Jungs fünfmal pro Woche am Ball – plus Rundenspiel am Wochenende. Da ist richtige Dosierung gefragt. Neben einer breiten Bewegungsausbildung, Technik- und Taktikschulung müsse, so Brauer, „unbedingt die Möglichkeit da sein, Fußball einfach zu spielen. Wenn man das zu früh aus Leistungssicht gestaltet, verlieren viele Kinder die Motivation, weil sie wenig Freiraum haben, das Spiel für sich kennenzulernen.“

Und wie spielen die Eltern mit? Gewiss gibt es die, „die ihre Kinder schon als künftige Profis sehen“. Da ist dann der übereifrige Vater, der seinen hochtalentierten Sohn so unter Druck setzt, bis der „kaum noch Eigenantrieb“ (Brauer) entwickelt und seine Entwicklung stagniert. „Der Zahn“, so Brauers Erfahrung, sei den Eltern „nicht zu ziehen: Dass sie ihre Träume träumen und diese Träume zu oft mit Druck auf die Kinder übertragen.“ Hinzu komme oft noch „der Trainerdruck aus dem Verein, nur orientiert an Ergebnissen“. Dabei sei es „überhaupt nicht vorhersagbar, was einmal aus einem Kind wird. Talent ist kein Ist-Zustand, sondern ein Ergebnis. Da spielen viele Faktoren rein.“

Ein erstes Indiz, wo die Reise hingehen könnte, sind die Zensuren ab der 7. Klasse, die auf der Einschätzung des Spielvermögens, Testergebnissen (Jonglieren, Finten etc.) und dem Verhalten in der Gruppe basieren. Brauer: „Werden gewisse Ziele nicht erreicht, sprechen wir mit Kind und Eltern.“ Steht am Ende der „Siebten“ nur eine Vier fürs Wahlpflichtfach Fußball im Zeugnis, gibt es gar „ernsthafte Gespräche. Bleibt der Trend, empfehlen wir, nicht länger am Training teilzunehmen.“ Bisher sei das aber noch nicht nötig gewesen. Dass die Begeisterung für den Fußball auf Kosten anderer Fächer geht, hat der B-Lizenz-Trainer noch nicht erlebt. Im Gegenteil: „Die Ehrgeizausprägung über den Sport“ komme anderen Inhalten zugute: „Es entsteht ein Miteinander-Mitreißen.“ Auch gebe es „Kooperationen, wenn irgendwo Schwächen sind“.

Steffen Brauer lebt seit 1990 in Hamburg und kommt aus der Nähe von Schwerin. In der ehemaligen DDR stand er als Leichtathlet selbst auf dem Sprung in eine Jugendsportschule, doch war ihm damals „mein Zuhause wichtiger“. Das Konzept der zentralen Kaderschule hält er nach wie vor für „nicht kindgerecht“. Das frühe Verlassen des Elternhauses sei „ein zu großer Einschnitt“. Das Angebot am Alten Teichweg sei „sinnvoller, weil die Kinder in ihrem sozialen Umfeld bleiben“.

Trotzt ungebrochener Begeisterung für sein Projekt ist Brauers Zukunft dabei ungewiss. Anders als in Hessen und Baden-Württemberg, wo für ähnliche Projekte feste Stellen bestehen, arbeitet er beim Verband auf Honorarbasis. „Im Sinne von Kontinuität kann eine freiberufliche Tätigkeit nicht sinnvoll sein“, sagt Brauer, der sein Studium im Herbst abschließen wird und sich einen sportpolitischen Ansatz der Schulbehörde wünscht, „mit dem wir professioneller arbeiten können“. Was auch im Sinne von Uwe Jahn wäre. „Es wäre eine Riesenhilfe für uns“, sagt der Verbandssportlehrer und fordert mehr finanzielles Engagement: „Eine reiche Stadt wie Hamburg sollte da nicht zurückstehen.“ Derzeit werden Gespräche geführt; doch erst nach der Wahl im September dürfte man sehen, was davon bleibt.

Dann wird immerhin schon die vierte Sportklasse den Betrieb aufgenommen haben, erweitert um die neue Sparte Tischtennis. Kein Wunder, dass von anderer Stelle aus dem HVF verlautet, das Projekt könne dem Verband in der jetzigen Form „vielleicht irgendwann über den Kopf wachsen“. Noch hofft Steffen Brauer als Quereinsteiger zumindest auf eine halbe Stelle; als gelernter Metallbauer könnte er problemlos auch Arbeitslehre unterrichten. „Die Stadt müsste mehr Präsenz zeigen, um uns auch einen Status zu ermöglichen. Das ist da so eine Nische, wo es heißt: Na gut dass es die gibt – aber es ginge auch ohne.“

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