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Der Senat ist der Gegner

Heute findet die Fuck Parade zwar wieder statt: als Demonstration gegen das Verbot der Fuck Parade durch Senat und Gerichte. Doch die spezielle Clubszene insgesamt muss um ihr Fortbestehen und ihre Räume fürchten. Es droht die kalte Verdrängung

von JÖRG SUNDERMEIER

Die letzte Fuck Parade war schön. Sie war gut besucht, und hinter den Wagen tanzte zahlreich ein Völkchen, das die Jugendlichen, die zur Love Parade zeitgleich an der Straße des 17. Juni tanzten, bei weitem an Nonkonformität übertraf. Subkultur-Aktivistengruppen wie Kanal B oder Klangkrieg hatten sich mit einem Wagen beteiligt, genauso aber Privatleute mit Kleinbussen oder Lkws. Berühmte DJs wie Wolle XDP oder Disko fuhren auf den Wagen mit und legten auf. Am Ende fand eine schöne große Abschlussparty statt.

Die Parade erwies sich also auch im letzten Jahr ein weiteres Mal als die interessantere Tanzdemo. Nun, im fünften Jahr, soll Schluss sein. Am Donnerstag entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sowohl die für kommendes Wochenende geplante Love Parade wie auch die Fuck Parade, die eigentlich heute hatte stattfinden sollen, keine Demonstrationen sind, was in der Konsequenz heißt, dass sich beide Paraden an der Müllentsorgung beteiligen müssen.

Insbesondere für die Fuck Parade, hinter der keine im Umgang mit Sponsorengeldern versierte Firma steckt, bedeutet das, dass sie so gut wie undurchführbar wird. Zumal die Fuck Parade eine konsum- und senatskritische Haltung an den Tag legt, was sie in den Augen der Verwaltung nicht eben beliebter macht.

Heute nun soll die Fuck Parade trotzdem stattfinden: als Demonstration gegen das Verbot der Fuck Parade durch Senat und Gerichte.

Doch es werden die Wagen fehlen müssen, man wird ganz old-school-mäßig gehen, mit Transparenten und Megafonen. Der hedonistische Spaß am Tanz „gegen die Scheiße“ (so ein DJ) wird fehlen. Man solidarisiert sich. Selbst die sonst so hochmütigen Veranstalter der Love Parade, denn diesmal befinden sie sich im gleichen Boot.

Wie auch die Clubszene. Denn gerade wurde bekannt, dass nicht nur das beliebte Maria am Ostbahnhof ab Oktober umziehen muss, auch andere angesagte Clubs wie das Ostgut, das sich als Zentrum der queeren Szene etabliert hat, das Casino, das traditionsreiche WMF, das nicht immer ganz legale 103 und das gerade erst neu hinzugestoßene Deli müssen um ihre jetzigen Räume oder gar ihr Fortbestehen als Unternehmen fürchten. Probleme mit den Anwohnern, falsche oder keine Anmeldungen bei den Behörden und das ständige Wachsen der Sanierungsgebiete machen es den Clubs schwer.

Hauke Schlichting, Pressesprecher des Tresor Clubs, der ebenfalls jeden Monat mit einer Mietvertragskündigung rechnen muss, sagt: „Wir haben damit noch keinen Ärger, das liegt aber vor allem daran, dass wir keine direkten Anwohner haben. Doch wir beobachten die Situation mit großer Sorge, da plötzlich ganz anders gegen legale und sublegale Bars und Clubs vorgegangen wird. Was die Berliner Clubszene immer ausgemacht hat, Nischen im öffentlichen Raum zu gestalten, das Wesen der Clubszene hier, der Flair, das wird zerstört. Und das betrifft auch uns.“

Denn obschon der Berliner Senat personell gewechselt hat, wird an der seit etwa einem Jahr praktizierten Politik der Härte gegenüber der Partyszene festgehalten. Natascha Kompatzki, die Pressesprecherin der Berlin Tourismus Marketing GmbH, wagt keine Prognose über die Zukunft der Partyszene, warnt allerdings den Senat indirekt vor zu energischem Vorgehen: „Aus touristischer Sicht ist es sehr wichtig, diese Szene zu erhalten.“ Die Szene versucht ihrerseits nun, sich mittels einer „Clubkommission“ zu organisieren. Solidarität also auf allen Seiten.

Der Gegner ist der Senat. Doch muss man genau hinschauen. Denn nicht alles, was schön bunt daherkommt, ist auch wirklich schön. Die Clubs in Berlin verteidigen oft die Clubkultur vor allem wegen ihres Geldes.

Seit langem schon ist von vielen, deren Ursprünge selbst im Hausbesetzertum liegen, keine Solidarität mehr mit Hausbesetzern oder Linken zu erwarten. Im Gegenteil, an den meisten Clubtüren ist inzwischen unmissverständlich klargestellt worden: Nur Modepunks im Jackett dürfen hier herein. Wie Günther Jacob in der aktuellen Ausgabe der Konkret richtig anmerkt, sind viele Clubbesitzer genervt von der Rückgabe des von ihnen gepachteten Gebäudes an die Besitzer; dabei gibt es zuweilen antisemitische Untertöne, insbesondere die Jewish Claims Conference gilt als Feind.

Auf der sich als linke Demo begreifenden Fuck Parade schließlich fahren DJs und Organisationen mit, die offen sexistisch oder rassistisch sind. Nicht wenige Vertreter der Gabba-Szene behaupten etwa, dass Musik, „zu der Frauen tanzen können“, keine gute Musik sein könne. Vor allem als man 1990 in Ostberlin leer stehende Räume vorfand, da die bisherigen Mieter in den Westen geflohen, nach Marzahn umgesiedelt oder aber ruiniert waren, gründete man unzählige Kellerbars und Wohnzimmerclubs, man besetzte Hallen und machte Party und bekümmerte sich kaum darum, wer eigentlich sonst noch so in dem Viertel lebte. Es war wie ein pubertärer Aufstand – und in Ostberlin war Raum, in dem die eben erst flügge gewordenen Studentinnen und Studenten, Kleinunternehmerinnen und Arbeitslosen sich eine neue Welt gründen konnten.

Allerdings auf Kosten der Leute, die hier bislang wohnten. Je mehr sich die Clubszene in Mitte einnistete, desto mehr wurden die alten Bewohner vertrieben. Nachdem dann die Szene bei der Entmietung der restlichen Wohnungen geholfen hatte, wurde sie selbst vertrieben. Dort, wo einst Boom Club, Toaster oder Galerie Berlintokio waren, residieren jetzt Werbeagenturen und Immobilienmakler. Da die Szene aufgrund der ständig herausgekehrten „neuen“ Unpolitischheit jedwede Techniken der Organisierung verloren hatte, konnte sie nicht protestieren – sie wusste nicht, wie. Daher wurde vor allem auf das eigene Überleben gehofft und sich im Zweifelsfall der Unterstützung der Wirtschaftsberater versichert.

Gerettet hat das niemanden. Und jetzt sind die Clubs an den Rand von Mitte gedrängt und müssen bald ganz aus den Innenstadtbereichen weichen.

Ebenso hat die Love Parade, was ihre symbolische Funktion angeht, ausgedient; bei aller Sorge um den aktuellen Tourismus ist nämlich eine Botschaft bereits weltweit verbreitet: Von den Deutschen geht keine Gefahr mehr aus, und ihre Hauptstadt ist locker.

Insofern war es nicht absurd, als vor einigen Jahren gesagt wurde, man könne die Love Parade mitsamt der Clubszene doch am bald geschlossenen Flughafen Tempelhof ansiedeln – dann gäbe es in der Tempelhofer Peripherie einen riesigen Vergnügungspark ähnlich dem Kunstpark Ost in München.

Mit der bisherigen Clubszene allerdings hätte das nicht mehr viel zu tun. Daher sollte man keinesfalls gleichgültig hinnehmen, dass Clubs geschlossen werden – das ist nur ein Indiz für die fortschreitende Heidelbergisierung der Innenstadt, die mit einer repressiven Politik gegenüber Minderheiten und sozial Schwachen einhergeht. Und das Demoverbot für Love und Fuck Parade ist ein Skandal: Denn nun maßen sich Innenminister in Zusammenarbeit mit den Gerichten an, beurteilen zu können, wann und in welcher Form eine Protestveranstaltung eine Demonstration ist und wann nicht. Dadurch, das ist sicher, werden noch viele unkonventionelle Protestformen verboten werden können.

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