: Feuer im Herzen
Andreas Altmann lässt sich Pillen aufschwatzen und heult über Kriege: Die Reisen eines Konsummüden in Afrika
Einem wie mir, der in Afrika Jahre verbrachte, geht das Herz auf, wenn die Bilder wiederkehren, das Schöne, das Absurde, das Grausame. Und dann noch von jemand anders gesehen. Einem Fremden. Und Andreas Altmann ist mir sehr fremd. Was er aber schreibt, ist wie eine Vergewisserung, dass all das, was ich gesehen habe, keine Luftspiegelung, all das, was ich gehört habe, nicht nur das in den Ohren pochende Blut war.
In kurzen Streiflichtern beleuchtet Altmann kleine Episoden, die die Kraft haben, eine ganze Welt zu öffnen. Von den Bauarbeitern in Kairo etwa, die ihn zur Haschpfeife einladen. Altmann, der alles – Drogen, Frauen, Storys, Bilder – in sich reinsaugt, lässt sich auch dies nicht entgehen. Erst später fragt er, ob man sicher vor der Polizei sei. Einer der Männer zückt seinen Ausweis: „Inspector Mohammed G.“ Aber er beruhigt: „Hier raucht man unter Polizeischutz!“
Dann diese wunderbare Geschichte von Fahti, dem Verkäufer, der Altmann mit den Worten „You are something very special!“ einfängt, um ihn dann mit Tee, Wasserpfeife, Sonderangebot, Spezialkredit – „all currencies accepted“ – und Dattelschnaps zum Kauf einer (nutzlosen) Holzschatulle und einem Eintrag in das goldene Buch der weich geklopften Käufer zu verführen. Und Altmann will verführt werden. Aus diesem Grund ist er da, ein des europäischen Konsums und Überflusses Müder, der im Fremden nach dem Anderen sucht. Nach den Geschichten, die auf keinem unserer Kabelsender laufen.
Wie bei den Pyramiden, wo Altmann nachts nach Ende der Besuchszeit eintrifft, was ihn in die Hände eines „inoffiziellen Guides“ geraten lässt, der ihn hinabführt in die Schächte. Dort unten entzündet er ein Zündholz und bietet Altmann ein schnelles „Ficki-Ficki“ auf einem Sarkophag an. Herrlich. Und so geht’s weiter. Zum Händler, der ihm rote Pillen andreht: „Pills to warm an indifferent heart!“ Aber auch in die Slums und Müllhalden und zu den absurden Mühen, die er auf sich nimmt, um durch den bitterarmen, vom Bürgerkrieg geschüttelten Sudan auf der Pritsche von Lkws nach Süden vorzudringen.
Hier verlieren die Geschichten angesichts des Ekels und der Empörung ihre Leichtigkeit. Auch die Zentralafrikanische Republik ist wenig geeignet für heitere Anekdoten, ganz zu schweigen vom ehemaligen Zaire, das Altmann im Bürgerkrieg erlebt. Und doch: Im Bus auf dem Weg dorthin durchforscht der Sitznachbar Altmanns Gesicht, bis es aus ihm heraus muss: „Excusez-moi . . . mais votre outil c’est pas trop, comment dirai-je, trop petit?“ Dann packt er ohne Zögern eine Tube aus und empfielt Altmann die Verlängerungssalbe mit den Worten: „Jeden Abend damit eincremen und dabei gleichzeitig heftig ziehen.“ Es ist das Lachen und das „Lachen aus dem letzten Loch“ (Altmann), was ihn begeistert.
Es ist für mich ein Phänomen, wie Altmann, mitten in diesem Inferno, es doch unberührt durchschreitet. Zwar schreibt er, dass er morgens aufwacht und heult. Er beteuert, dass ihn „der Blick auf die Zumutungen, die anderen zugemutet werden, [. . .] jedes Mal penetranter verletzt“; doch unbeantwortet bleibt die Frage, warum er die erwogene Möglichkeit, die Reise im Flugzeug fortzusetzen, immer wieder im letzten Moment verwirft. Was den Wert des Buchs, bis in die Dramaturgie, schmälert, ist, dass Altmann eigentlich kein anderes Motiv hat, als sich anzuturnen. Ein globaler Flaneur, mit dem wir nicht bangen, weil er sich’s auch anders überlegen und ein Flugticket kaufen könnte.
Leider teilt Altmann auch sattsam bekannte Vorurteile. So hält er, der selbst stilisierte Lebemann, die streng gläubigen Muslime für bedauernswerte Menschen, die einer verlogenen Sexualmoral unterliegen. Dabei schmeißt er seine eigenen streng katholischen Kindheitserfahrungen mit den ihren in einen Topf. Sex aber, bis hin zur einzelnen Stellungen, wird in islamischen Schulen eifrig diskutiert, nur eben kein Sex vor der Ehe! Schade, aber ansonsten ein schönes Buch. ANDREAS KIRCHGÄSSNER
Andreas Altmann: „Im Herz ein Feuer. Unterwegs von Kairo in den Süden Afrikas“. Picus Lesereisen 2001, 27,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen