: Niemals die Kneipe verlassen!
Orte für ein blaues Wunder (II): Die Bieroase „La Ventana“ in San Salvador. Bewaffnete müssen draußen bleiben
Warum sollte ein Urlauber nach San Salvador reisen? Gute Frage. Die Stadt wird mindestens zweimal pro Jahrhundert von einem schweren Erdbeben zerstört und hat deshalb keinerlei architektonische Sehenswürdigkeit. Die beiden Museen sind seit Jahren geschlossen. Nirgendwo in der Region gibt es dreckigere Luft und eine höhere Kriminalitätsquote. Wenn in Deutschland Sommerferien sind, herrscht hier tropische Regenzeit.
Wer bietet Trost? Nur eine Oase: „La Ventana“, die erste Kneipe, die vor fünf Jahren in dieser Stadt eröffnet wurde. Vorher gab es nur Restaurants, Fastfood-Buden und Abtrinkhallen, in denen das Bier in Eimern serviert wird und der Besuch nur schwer bewaffnet empfohlen werden kann. „La Ventana“ ist anders. Bewaffnete müssen draußen bleiben. Man kann sich entspannt an den Tresen lehnen und mit Paolo plaudern.
Wer ist Paolo? Paolo (Foto) ist der Kneipier und hieß einst Arnd Richard Luers. Dann ging er nach El Salvador zur Guerilla. Manchmal erzählt er Geschichten davon, wie er als Spendensammler philanthropischen US-amerikanischen Millionären Bilder von massakrierten Campesinos vorlegte und wie die dann Schecks für die Guerilla ausstellten.
Nach dem Bürgerkrieg war Paolo unter den Gründern der besten Wochenzeitung, die El Salvador je besaß. Nach ein paar Monaten ist das Projekt kläglich gescheitert. Also machte Paolo eine Kneipe auf. Journalisten waren sein ersten Stammkunden.
Das klingt wenig spannend. Abwarten. Noch heute kommt zu später Stunde mit einigermaßen verlässlicher Regelmäßigkeit Chele Tomás („der blasse Thomas“) vorbei. Ein echter US-amerikanischer Kriegsreporter, der, wenn er mit dem Flugzeug reist, immer eine Röntgenaufnahme dabei hat. In seiner Lunge steckt eine Kugel, von der sich die Metalldetektoren in derAbfertigungshalle irritieren lassen.
Chele Tomás hat auch einen Mitschnitt davon. Erst hört man den Schuss, dann das Fluchen. CBS hat das Band gesendet. Es wurden viele Piepstöne verwendet, um jugendliche Hörer vor den schlimmsten Flüchen zu schützen. 30 Dollar hat Chele Tomás für den O-Ton bekommen. Er findet El Salvador langweilig, seit der Krieg vorbei ist.
Wer steht noch am Tresen von Paolo? Luis Galdámez. Der örtliche Fotograf der Nachrichtenagetur Reuters grüßt mit links, weil sein rechter Arm verkrüppelt ist, seit ihn eine Militärpatrouille vom Motorrad geschossen hat. Der Arm sollte damals amputiert werden. Doch Luis kämpfte dafür, dass er dran blieb. Auch auf einen verkrüppelten Arm kann man eine Kamera stützen. Er ist der beste Fotograf weit und breit. Sein künstlerisches Werk wird bisweilen im „Ventana“ ausgestellt.
Was passiert vor der Tür so? Vor ein paar Tagen wurde gleich ums Eck ein neunjähriges Kind entführt. Die Polizei verfolgte die Kidnapper und verwickelte sie in eine zweistündige Schießerei. Am Ende lagen zwei Entführer, zwei Polizisten und das Kind tot am Boden. Nun kann man darüber rätseln, ob der Showdown provoziert war, damit die rechten Parteien hinterher die Einführung der Todesstrafe fordern konnten. Oder ob die Polizei wirklich so blöd ist und Entführerbande samt Opfer zur Feldschlacht herausfordert.
Was ist, wenn man die Kneipe irgendwann verlassen muss? Dann sollte man vorsichtig sein bei der Auswahl des Taxis. An Paolos Tresen habe ich gehört, dass es immer mehr Finsterlinge geben soll, die ihr Auto im ortsüblichen Taxigelb lackieren, eine gefälschte Lizenznummer draufschreiben und ahnungslose Spätheimkehrer an einen entlegenen Ort chauffieren, um sie dort in aller Ruhe auszunehmen.
TONI KEPPELER
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