piwik no script img

Grüne retten die politische Ehre

Landesdelegiertenkonferenz fordert Ehrenrat, der Abgeordnete und SenatorInnen auf Stasi-Tätigkeiten überprüfen soll. Ein Bundeswehreinsatz in Makedonien wurde abgelehnt, die Kandidatenliste für die Neuwahlen wurde komplettiert

von PHILIPP GESSLER

Auch wenn alle behaupten, das habe mit Gregor Gysi nichts zu tun: Immer höher schrauben die Berliner Bündnisgrünen die Ansprüche an eine Koalition mit der PDS und der SPD, falls es mit den Sozialdemokraten allein nach den anstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus nicht reichen sollte. Bei ihrer Landesdelegiertenkonferenz beschlossen die Grünen gestern ohne Debatte und mit deutlicher Mehrheit, sich in einer fortgesetzten Regierungsverantwortung nach den Wahlen „für die Einrichtung eines Ehrenrates oder einer vergleichbaren Kommission des Abgeordnetenhauses“ einzusetzen. Dieses Gremium solle „neben den Abgeordneten auch die Senatorinnen und Senatoren oder die Bewerberinnen und Bewerber für ein Senatorenamt auf ihre Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR oder andere Geheimdienste überprüfen“.

Die Antragstellerin, die Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, betonte, man wolle mit dieser Forderung „keine Frontstadthetze“ betreiben. Die Wählerinnen und Wähler hätten jedoch Anspruch auf Aufklärung der Vergangenheit ihrer Politiker. Es gehe darum, ein „solides politisches Verfahren“ zu finden, um zweifelhafte Personen überprüfen zu können. Angestrebt sei eine politische und keine juristische Bewertung ihrer Taten. Die Politik überlasse es bisher Talkshows oder Journalisten, die Vergangenheit mancher Politiker zu thematisieren. Wie bei den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes, die auch auf eine mögliche Geheimdiensttätigkeit überprüft worden seien, gehe es dabei um die Frage der Glaubwürdigkeit der Politik.

Justizsenator Wolfgang Wieland betonte, man wolle keine „Lex Gysi“ schaffen. Allerdings überschwemme dieser PDS-Spitzenkandidat die Stadt derzeit mit so vielen Unterlassungserklärungen, dass es schwer falle, zu wissen, was man überhaupt noch öffentlich behaupten dürfe. Die mögliche Stasi-Vergangenheit Gysis war in den letzten Jahren immer wieder Ausgangspunkt langjähriger juristischer Streitigkeiten.

Doch nicht der Ehrenrat-Antrag erwies sich als brisant. Längere Diskussionen gab es nur über eine Resolution gegen einen Kampfeinsatz der Bundeswehr in Makedonien. Die Nato sei als Konfliktschlichter „nicht geeignet“, höchstens UNO-Truppen seien akzeptabel, beschloss der Parteitag.

Neben diesem Ausflug in die Verteidigungspoltik stand die Verabschiedung eines Kurzprogramms für die Wahlen auf der Tagesordnung – bis zum Redaktionsschluss war offen, mit welchen Änderungen es verabschiedet wurde. Nachdem schon am vergangenen Wochenende darüber abgestimmt wurde, konnte immerhin die 40-köpfige Kandidatenliste komplettiert werden. Da bei den vergangenen Wahlen 1999 die Grünen bei einem Stimmenanteil von 9,9 Prozent im Abgeordnetenhaus 18 Sitze besetzen konnten, waren die ersten 20 Plätze besonders umkämpft. Eine Überraschung: Der Migrationsexperte Hartwig Berger landete nur auf Platz 25.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen