piwik no script img

Das Glück weich geklopft

Der Berliner Jens Voigt darf sich in den Vogesen das Gelbe Trikot bei der Tour de France überstülpen, muss es am Tag später aber schon wieder an seinen Teamgefährten Stuart O’Grady zurückgeben

von FRANK KETTERER

Das Lächeln im Gesicht von Jens Voigt hatte etwas Sonniges – und schon deshalb passte es so wunderbar zu dem gelben Leibchen, das man dem blonden Strahlemann gerade übergezogen hatte. Und ganz egal, wo der neue Spitzenreiter der Tour de France später auch noch auftrat an diesem für ihn so denkwürdigen Samstagabend, das Lächeln war durch nichts und niemanden mehr wegzuwischen, ebenso wie die Worte nicht mehr zu bremsen waren, die das dazu passende Gefühl zu beschreiben suchten: „Das ist der großartigste Moment in meiner Karriere“, sprudelte es also aus Jens Voigt hervor, „das Trikot ist eine traumhafte Sache für mich.“

Dann wurde der 29-jährige Berliner immer und immer wieder gebeten, die Geschichte seiner Triumphfahrt nachzuerzählen; und immer wieder kam Voigt den Bitten nach und erzählte: Wie er am dritten von fünf Anstiegen in den Vogesen auf eine Attacke von Laurent Jalabert reagiert hatte, wie sich dadurch eine fünfköpfige Ausreißergruppe formierte, wie sich diese flott absetzen konnte vom Hauptfeld, wie er, Voigt, am vorletzten Anstieg Schwierigkeiten hatte noch mitzukommen mit den vier flinken Kollegen, und wie er schließlich, noch vor der sausenden Abfahrt hinab nach Colmar, ein paar wichtige Worte wechselte mit Laurent Jalabert, dem Franzosen. „Der hat zu mir gesagt, ich soll nicht mitsprinten und nicht so gierig sein, weil ich das Trikot schon hätte“, verriet Voigt später – und hielt sich an den Rat des Kollegen, der im Vorfeld die meiste Arbeit verrichtet hatte und dafür nun den Etappensieg einfahren durfte, was eine ganz besondere Ehre ist für einen Franzosen am 14. Juli, dem Nationalfeiertag.

So war alles gut, wie es war, an diesem siebten Tagesabschnitt der Großen Schleife, und Jens Voigt am Abend der elfte deutsche Radprofi, der sich in der langen Tourgeschichte mit dem Gelben Trikot schmücken durfte. Und der Erste seit 1998, als Jan Ullrich letztmals das Maillot Jaune trug, das er später abgeben musste an Marco Pantani. Ein Schicksal, das bereits gestern auch Voigt traf: Auf dem achten Tagesabschnitt nach Pontarlier brachte eine 14-köpfige Ausreißergruppe das Kunststück fertig, zwischenzeitlich sagenhafte 32 Minuten Vorsprung herauszufahren. Am Ende konnte sich Erik Dekker als Etappensieger feiern lassen, während sich Stuart O’Grady die Gesamtführung zurückeroberte, womit das Gelbe Hemd wenigstens im Team von Voigt verblieb.

Aber letztendlich spielte selbst das gar keine so große Rolle mehr für Jens Voigt, der weiß, dass er keiner ist für den Gesamtsieg. Diese Tour wird auch so für immer und ewig seine sein, dass er sich das verdient hat, steht ohnehin außer Frage. Voigt gilt als Kämpferherz im Peloton, als einer, der immer rackert, immer angreift. „Ich will unbedingt eine Etappe gewinnen, aber ich bin kein Sprinter. Deshalb muss ich attackieren“, sagt Voigt über Voigt. Der Lohn für solche Umtriebigkeit blieb dem Berliner freilich lange Zeit verwehrt, am schmerzhaftesten bei der Tour des Vorjahrs: Beinahe 200 Kilometer lang war der 29-Jährige da bei einer Etappe dem Feld allein vorneweg geradelt, auch damals winkten Etappensieg und Gelbes Trikot. 200 Meter vor dem Ziel aber hatte sich die Angelegenheit erledigt, das Feld hatte Voigt doch noch eingeholt. „Ich verstehe meinen Sport nicht mehr“, klagte der Berliner damals. Unterkriegen lässt sich ein Kämpfer von solchem nicht, daran hatte Voigt schon vor der diesjährigen Tour, seiner vierten, keinen Zweifel gelassen. „Ich werde so lange auf das Glück einprügeln, bis es sich auf meine Seite neigt“, hatte er versprochen. Am Samstag gab das Glück endlich nach, Voigt und sein Team Crédit Agricole hatten es in den vorangegangenen sechs Etappen mächtig weich geklopft.

Wie es weitergeht mit Jens Voigt und dem Radsport, ist derzeit noch offen, am Ende der Saison läuft sein Vertrag bei Crédit Agricole aus. Sorgen, eine neue Mannschaft zu finden, muss sich der Berliner nicht machen, die Teams stehen Schlange, allen voran Telekom; auch Lance Armstrong soll schon angeklopft haben. „Ich möchte da nicht ins Detail gehen“, sagt Voigt dazu nur, ohnehin gilt es zunächst einmal, die Tour zu Ende zu bringen. Ein neues Ziel hat Voigt bereits im Visier: Am 24. Juli führt die Tour dicht an seinem französischen Wohnsitz in Toulouse vorbei. „Das ist Motivation genug für mich“, sagt Jens Voigt und lächelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen