: Im Dienste seines Präsidenten
Die NSA überwacht alle: Politiker in den USA ebenso wie „Feinde“ rund um den Globus. James Bamford verrät ein paar gut gehütete Geheimnisse
von WOLFGANG GAST
Der wirklich kalte Krieg findet im hohen Norden statt. Hier sind sich die beiden Supermächte am nächsten, in den eisigen Wintern sind sie sogar durch eine Eisbrücke miteinander verbunden. Das arktische Meer ist der perfekte Ort für ein Duell der elektronischen Lauschaktionen. Beide, die USA und die damalige Sowjetunion, nutzen Eisberge für ihre Spionage. Die aus den Gletschern herausgebrochenen Inseln treiben träge in elypsenförmigen Bahnen in der Nähe des Nordpols – sie sind ein idealer Standort, um elektronische Signale des Gegners aufzufangen.
Eine gefährliche Spionage. Am 23. September 1958 verlässt Captain James F. Smith, ein Offizier des US-Nachrichtendienstes und Russischlinguist, ein kleines Flugzeug. Er betritt die Station „Alpha“. Alpha ist ein ovales Stück Treibeis, weniger als 1,6 Kilometer lang und knapp 160 Kilometer vom nördlichen Pol entfernt. 19 Wissenschaftler und Techniker sind hier stationiert. Sie hören den Funkverkehr der Sowjets ab, ermitteln die Standorte der feindlichen Radaranlagen. Smith ist designierter Kommandant. Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft brechen erbarmungslose Orkane los und drohen die Insel auseinander zu reißen. Ein besonders heftiger Sturm zerstört die Landebahn, drei Wochen später brechen 40 Prozent der Eisscholle weg. Zwei Rettungstrupps sollen die Besatzung evakuieren, müssen aber wegen schlechter Wetterverhältnisse umkehren. Unter größten Mühen gelingt es, einen Teil der Landepiste zu reparieren – die Abhörspezialisten werden in einer riskanten Aktion ins grönländische Thule ausgeflogen.
Was bei den Amerikanern Alpha ist, heißt bei den Sowjets beispielsweise „Nordpol 8“: eine Station auf einem sieben Kilometer langen Eisquader im Dreieck zwischen Wrangel-Insel, westlichem Alaska und Nordpol. Auch Nordpol 8 wird nach verheerenden Stürmen aufgegeben. 1.055 Tage war sie besetzt, am 19. März 1962 gibt der Kommandant den Befehl zur Notevakuierung. Die elektronische Ausrüstung bleibt zurück. Ein gefundenes Fressen für die US-Nachrichtendienste. Ende Mai 1962 hebt im Norden Alaskas ein Flugzeug zur Operation „Coldfeet“ ab. Sechs Stunden später erreicht sie Nordpol 8. Zwei Männer springen mit Fallschirmen ab.
Tage später startet eine andere Maschine, die beide Offiziere abholen soll. Das Flugzeug hat eine bizarre Vorrichtung an der Nase. Mit dem gabelähnlichen Apparat sollen die Männer geborgen werden. Nur: Die Eisscholle ist nicht auffindbar im verwirrend weißen Meer. Drei Tage dauert es, den Posten neu zu orten. Dann steigen drei mit Helium gefüllte Wetterballons auf. Am Ende des einen baumelt eine Sporttasche mit der Ausrüstung der sowjetischen Lauscher. Der gabelartige Vorsatz an der Flugzeugspitze greift sich die 150 Meter lange Ballonleine – mit dem selben Manöver werden die Männer in die Luft gehoben und an Bord gehievt. Nach der Auswertung stellen die Analytiker fest, ein großer Teil des russischen Materials ist „vergleichbarer US-amerikanischer Ausrüstung überlegen“.
Dies ist nur eine der noch heute unbekannten Aktionen in den Anfängen der National Security Agency (NSA), dem mächtigsten der US-Nachrichtendienste. NSA steht in der Öffentlichkeit für „no such agency“, denn bis Ende der Siebzigerjahre weigerte sich die Regierung, die Existenz des Dienstes zu bestätigen. Umgekehrt waren und sind die Angestellten der NSA dazu vergattert: „Never say anything“ (NSA).
James Bamford, ein renommierter amerikanischer Journalist, hat die dunkle Historie der NSA aufgehellt: 1982 mit „The Puzzle Palace“ über den Aufbau der größten Spionageorganisation der Welt und nun mit seinem neuen Buch „NSA“ über die fünf Jahrzehnte lange Geschichte ihrer Einsätze. Mit großer Akribie beschreibt er Lauschaktionen wie am Nordpol. Vom Koreakrieg über die Invasion in der kubanischen Schweinebucht, vom Sechs-Tage-Krieg im Nahen Osten bis hin zum Anzapfen von Unterwassertelefonkabeln der früheren Sowjetunion – detailliert berichtet Bamford über legale wie illegale Operationen der 1952 gegründeten Behörde. Er schreibt aber auch über die Rolle der NSA bei der Bespitzelung von US-Politikern ebenso wie über die vergebliche Warnung des Geheimdienstes vor einer Großoffensive des Vietcong im Vietnamkrieg.
Wie ein roter Faden zieht sich die Entwicklung neuer Techniken durch das Buch. Bamford schildert, wie Spionageschiffe der NSA erfolgreich ihre Antennen in den Himmel richteten, um vom Mond reflektierte Radiosignale aufzufangen. Auch, wie NSA-Techniker ionisierende Wolken als Reflektoren einsetzten, um den tausende Kilometer entfernten Funkverkehr der Russen aufzuzeichnen.
Ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft: Überall hat der Geheimdienst seine Antennen und Mikrofone installiert. Als Westberlin noch von der DDR umgeben war, nutzte die NSA die schmalen Flugkorridore zur Ausspähung der Verteidigungsanlagen des Warschauer Paktes. Die Spionageflugzeuge waren als Zivilmaschinen getarnt. Vor den Küsten Nordkoreas kreuzten als Trawler getarnte Spionageschiffe, ein globales Netz von Abhörstationen sicherte der NSA die flächendeckende Überwachung der Satellitenkommunikation. Fantastisch mutet an, was Bamford aus den Forschungslabors der NSA berichtet. So verfügt die NSA seit 1997 über das größte elektronische Gehirn der Welt. Es soll schneller und leistungsfähiger sein als der IBM-Computer „Deep Blue“, der vor vier Jahren den Schachvirtuosen Garry Kasparow besiegte. Damit nicht genug: Die Forscher, so Bamford, wollen die digitale Welt mit der biologischen verschmelzen und Rechnerkomponenten aus biologischen Elementen herstellen.
Die NSA ist ein Superlativ jeder Hinsicht. Der Etat in den Jahren 1995 bis 1999 beläuft sich auf 17,5 Milliarden Dollar. Für 2000 und 2001 sind weitere 7,3 Milliarden beantragt. Gegenwärtig beschäftigt die NSA rund 38.000 Mitarbeiter, mehr als FBI und CIA zusammen. Weitere 250.000 sind in dem Central Security Service der Behörde beschäftigt, der weltweit die Horchposten der NSA betreibt. „Crypto City“, die Zentrale des Nachrichtendienstes im Bundesstaat Maryland, ist auf keiner Landkarte verzeichnet, kein Wegweiser führt zu ihr. Die stadteigene Polizei legt monatlich im Schnitt 6.400 Kilometer zurück, sie rückt im Jahr etwa 700 Mal zu Notrufen aus. Die Mitarbeiter in Crypto City spenden jährlich an die 3.200 Liter Blut.
Die NSA ist Bamford zufolge der Hauptlieferant der Nachrichten, die die Entscheidungen der US-Regierung maßgeblich beeinflussen. Anhand der Berichte aus Crypto City wird bewertet, ob internationale Abrüstungsverträge eingehalten werden oder diplomatische Erklärungen fremder Regierungen („Wir stellen kein Giftgas her.“) mit der Realität vor Ort übereinstimmen. Bamford dokumentiert aber auch, wie der Nachrichtendienst instrumentalisiert wird. So überwachte Anfang der Siebzigerjahre die NSA sämtliche Telegramme, die von den USA aus ins Ausland verschickt wurden – unter Präsident Nixon erhielt die NSA den illegalen Auftrag, Gegner des Vietnamkrieges auszuspähen.
Wer sich für die klandestinen Instrumente der Macht interessiert, der findet in Bamfords Buch Material in Hülle und Fülle. Für die kleine Gemeinde, die seit Jahren das Treiben der Geheimdienste beobachtet, ist der Band ohnehin Pflichtlektüre. Nur eines liefert Bamford nicht: die Schlussfolgerungen, die man aus dem ganzen Material ziehen müsste. Hier arbeitet Bamford wie der von ihm beschriebene Dienst. Er liefert Material – was damit geschieht, entscheiden andere.
James Bamford: „NSA. Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt“. 668 Seiten, C. Bertelsmann, München 2001, 68 DM (34,77 €)
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