: Zeugnis
Deutsch: Wie nirgendwo sonst wird im Projektkurs Deutsch die Bastardisierung der deutschen Sprache vorangetrieben. Das konsequente Ignorieren von Artikeln aller Art in den Innenstadtbezirken („Wann geht Bus“?) trägt zu einer Verkürzung der Sprechzeiten bei, die trotzig-anarchische Neufassung der Apostrophenregelung im Gaststättengewerbe zeugt von spontanem Einfallsreichtum, das Idiom der Hauptstadt ermöglicht eine ungeahnte Artikulation von positiven und negativen Emotionen (s. a. „falsch jeficktet Stück Dreck“). Nach einer dauerhaften Beurlaubung des Oberstudienrates Dr. Eckart Werthebach muss allerdings eine akute Gefährdung des Unterrichtszieles befürchtet werden. Lieb gewonnene Begriffe („Ausländerextremismus, Linksextremismus, Aktenordner“) dürften zunehmend durch artfremde englische Wörter ersetzt werden.
gut
Mathematik: In diesem Fach ist B. wirklich gut. Niemand jongliert so gekonnt mit schwer bestimmbaren Variablen, leeren Mengen, Nullsummen und imaginären Zahlen wie der Musterknabe von der Spree. Da staunen die Klassenkameraden NRW, Bayern und Hessen nur Bauklötze. Nur bei den Grundrechenarten hapert’s bei B. noch und bei der korrekten Abrechnung des Kaba-Geldes. Aber keine Sorge: Mit dem rot-grünen Sparsenat lernt sogar B. bald das Erbsenzählen.
befriedigend
Englisch: B. hat eine schicke britische Botschaft, mit blauem Spitzerker und lila Dach über dem Eingang, die den Fluchtlinien- und Traufhöhenwahn hübsch durchbrechen. Zudem sind die Wände im Inneren hellblau, rot und gelb. Dazwischen tanzen zwei Säulen von Tony Craig. Statt rechter Winkel, schräge Linien. Britannia ist lässig und pop – auch in Berlin.
sehr gut
Russisch: B. hat Einsatz gezeigt! Von Russisch versteht er zwar kein Wort. Aber auf die Russendisko fliegen alle, Wodka ist in aller Munde. Und die Berlin-Moskauer Beziehungen laufen bestens: Putin, den obersten Vertreter der russischen Sprache auf Erden, hat B. in der Spandauer Zitadelle zum Ritter geschlagen.
sehr gut
Physik: Wo ein Körper ist, kann kein anderer sein. Das heißt, dass auf den PSV-Olympia-Schießplatz in Adlershof die Humboldt-Uni kein Chemielabor bauen kann. Dass dort, wo der Palast steht, kein Stadtschloss hinkann. Dass dort, wo das Bücherverbrennungs-Mahnmal eingegraben ist, keine Tiefgarage hinpasst. Das muss B. aber erst noch begreifen.
ausreichend
Biologie: Viel Nachwuchs in den Zoos: vier Sumatra-Tiger, drei Kängurus, ein kleines Flusspferd, vier Trampeltiere, 51 Baby-Boas, Elefantenbaby Tara, elf Skinke und ein Kakadu. In der altmodischen Tierbiologie ist B. stark. In der zukunftsweisenden Biotechnologie hapert es aber noch: Stammzellen dockten bisher nur bei den Klassenkameraden in Westdeutschland an.
ausreichend
Heimatkunde: B. verwechselt Pankow mit Prenzlauer Berg und wirft Kreuzberg und Friedrichshain in einen Topf.
ungenügend
Chemie: Im Chemieunterricht fällt der Schüler B. immer wieder durch eine rege Experimentierfreudigkeit auf. Hauswarte testen verbotene Pflanzengifte auf dem Gelände von Kindertagesstätten, und Wohnungsbauunternehmen überführen in Kaulsdorf-Nord herrenlose Tiere in einen anderen Aggregatszustand. Selbst die Zuschauer von Hertha BSC erweisen sich immer öfter als reaktiv und bilden mit Substanzen wie PCB im Olympiastadion neuartige Verbindungen. An der FU garantiert die konsequente Asbestverkleidung Sicherheit vor Bränden aller Art. Selbst in der Politik ist eine neuartige bräsige Emulsion festzustellen. Der Baumschützer Frank Steffel warnt deshalb: „Ein rot-grüner Senat ist Gift für Berlin.“ Im Zweifelsfall lässt man – siehe Sondermülldeponie Wannsee – einfach Gras über die Sache wachsen.
sehr gut
Musik: B. zeigte sich weitgehend unmusikalisch und lässt auch ein Gespür für Zwischentöne vermissen. Erstens: Wer vor der Volksbühne öffentliches Musikhören verbietet, ist versetzungsgefährdet. Zweitens: B. hält Techno-Musik nicht für demonstrationstauglich und beweist damit eine banausenhafte Unkenntnis von Jugendkultur. Und drittens: Ihre Stiftung bekamen die Philharmoniker erst, als der große Sir Simon Rattle mit dem Taktstock seinen Rückzug androhte. Mehr Einsatz!
mangelhaft
Geografie: In Sachen Erdkunde tut sich B. leider schwer: Unweit von Sibirien gelegen, wollte B. in den 90er-Jahren doch tatsächlich „Mitte Europas“ sein. Oje. Das sich die Leistungen in Geografie bessern, steht bei B. kaum zu hoffen. Frank Steffel etwa fürchtet, „dass Berlin nach Peking und Havanna die dritte Millionenstadt unter kommunistischem Einfluss wird“? Und was ist mit Shanghai, Herr Steffel? Und Wuhan? Und Qingdao? Zibo? Guang? Shenzhen? Nanjing? Chengdu?
mangelhaft
Hauswirtschaft: Nicht gerade das Lieblingsfach des ranzigen B.. Aber das kann sich bald ändern: Die 35-jährige Katja Steffel träumt schon vom „First Lady“-Dasein. In der Metropole der alternativen Lebensentwürfe lebt die Ehefrau von Frank Steffel ihren ganz eigenen Traum: „Eine glückliche Familie, Zufriedenheit, Gesundheit.“ Und die Frau des CDU-Kandidaten für das Amt des Regierenden zeigt schon jetzt, wie die Aufgaben zu Hause richtig verteilt sind: „Ich halte mich sehr gerne zurück.“
gut
Betragen: Vor allem Regelverstöße bei den Sicherheitskräften („Kurz vor Dienstschluss ein paar Bier, das haben wir doch alle getan auf dem Revier.“ Hans-Ulrich K., Polizeiabschnitt 65) tragen zu einer Verschlechterung der Beurteilung bei. Aber auch das Werfen mit vierjährigen Töchtern vom Balkon („weil er Arbeit wollte“, Neukölln), die Störung des Unterrichtsablaufs durch 13-jährige „Pistolen-Kinder“ (Kreuzberg), der zunehmende Sittenverfall selbst in traditionell humanistischen Bereichen („Philosoph erstach Philosophin“, Neukölln) und Eifersuchtsszenen auf dem Pausenhof („Her mit meiner Frau, sonst spreng ich Ihr Haus in die Luft“, Hellersdorf) führen zu einer akuten Gefährdung der Versetzung.
mangelhaft
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