: Scharping will einzelne Todesfälle nicht ausschließen
Verteidigungsministerium dementiert 58 Todesfälle unter radargeschädigten Bundeswehrsoldaten. Opfer wollen notfalls bis nach Karlsruhe gehen
BERLIN taz ■ Mit Radar kennt sich Peter Rasch aus. Fünf Jahre lang, von 1961 bis 1965, hat er Luftwaffenschülern der Bundeswehr erklärt, wie die Geräte funktionieren. Doch über das Strahlenrisiko war auch der Lehrer nicht informiert. Kein Strahlenmessgerät, keine Schutzkleidung. „Die Bundeswehr hat die Strahlenschutzverordnung nicht eingehalten.“
Vor drei Jahren haben Ärzte bei Rasch einen Tumor festgestellt. Ende April hat er den „Bund zur Unterstützung Radargeschädigter“ gegründet. Der Selbsthilfegruppe haben sich inzwischen über 300 Betroffene angeschlossen, darunter die Angehörigen von 58 Verstorbenen. Doch das Bundesverteidigungsministerium dementierte die 58 Todesfälle umgehend: „Gesicherte Zahlen liegen zur Zeit noch nicht vor.“ Einzelne Todesfälle wollte eine Sprecherin gestern aber nicht ausschließen.
Raschs eigener Antrag auf Wehrdienstbeschädigung wurde zwar 1998 anerkannt. Aber bis heute hat er nur eine geringe Abfindung erhalten. „Die spielen auf Zeit.“ Mitte Juni hat sich Rasch daher gemeinsam mit rund 130 anderen Betroffenen und deren Familien an Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gewandt. „Unsere Forderungen liegen auf dem Tisch: Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 bis eine Million.“ Am Montag ist die Frist abgelaufen. Doch eine Antwort blieb Scharping schuldig. „Uns ist immer noch kein Ansprechpartner genannt worden“, sagt der Berliner Anwalt Remo Klinger, der die Opfer vertritt. Bis vor das Bundesverfassungsgericht wollen er und sein Partner Reiner Geulen notfalls ziehen.
Die Zahl der „Radarsoldaten“ ist nur schwer zu ermitteln. Die Luftwaffe gibt 12.000 Personen seit 1956 an, die Marine bis zu 48.000, das Heer etwa 3.000 Instandsetzungstechniker und 22.000 Bediener. Der Bundeswehrverband geht von bis zu 1.000 Strahlenopfern aus. 336 haben Anträge auf Anerkennung von Wehrdienstbeschädigung eingereicht.
Eine von Scharping eingesetzte Untersuchungskommission hatte vor einem Monat Versäumnisse der Bundeswehr eingeräumt. „Gerade in der Frühphase“, heißt es im Bericht der Sommer-Kommission, „ist nicht systematisch gemessen worden.“ Scharping hat denn auch eine „außergerichtliche und großherzige“ Entschädigung versprochen. Schmerzensgelder nach US-Vorbild will er verhindern.
Ein Arbeitsstab aus Strahlenschutz- und Rechtsexperten soll die Anträge prüfen. Eine „begründete Vermutung“ werde ausreichen, so Scharping, um Berufskrankheiten anzuerkennen. Aber: Mehr als Zusatzrenten seien nicht drin. Doch während für aktive Soldaten die Bundeswehr zuständig ist, sind es bei Ausgeschiedenen und Hinterbliebenen die Versorgungsämter der Länder. Doch Sozialminister Walter Riester (SPD) hat sich bisher überhaupt nicht geäußert.
Das Verteidigungsministerium hat den Opfern Unterstützung zugesagt – falls sie gegen die amerikanischen Herstellerfirmen der Geräte prozessieren sollten. „Das Ministerium“, warnt Anwalt Klinger, „wird nicht um Schmerzensgeld herumkommen.“ NICOLE MASCHLER
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