Mumien auf Anabolika

Seth und Horus allerorten: Von Hollywood-Spektakeln, Mumienfilmen bis hin zum Videospiel „Tomb Raider“ wird die ägyptische Kultur gern als Mythensteinbruch benutzt. Dabei spiegelt das Nilreich vor allem die Paranoia vor dem Fremden

von AMIN FARZANEFAR

Wenn in „Tomb Raider“ Lara Croft durch die Kulturlandschaften dieser Welt prescht, Artefakte sammelt und die Welt rettet, dienen dabei die ehrwürdigen historischen Stätten nurmehr als Kulisse. Ähnlichen Abenteuertourismus bietet nicht nur der Kassenknüller „Die Mumie kehrt zurück“ – Ägyptiaca sind über ihre Präsenz in reinen Nilfilmen hinaus hartnäckig im zeitgenössischen Kino vertreten. Offenkundig im Sciencefiction („Stargate“, „2001– Odyssee im Weltraum“), verdeckter im sich allgemein am Alterum bedienenden Set-Design („Das Geisterschloss“, „Unbreakable“) oder als einzelne bedeutsame Requisite („Angelheart“, „Arabesque“): Sarkophage, Pyramiden, Mumien, Hieroglyphen (das Ankh-Zeichen!) erzeugen seit jeher eine diffuse Atmosphäre des Bedrohlichen, Unwirklichen, Verrätselten.

Beim Münchner Symposium „Ägypten im Film“, veranstaltet vom Institut für Ägyptologie, wurde das Phänomen kürzlich filmhistorisch, psychologisch und diskursanalytisch unter die Lupe genommen. Am schlimmsten erwischte es die Hollywood-Ikone Kleopatra: Von Shakespeare an, über antikisierende Liebeslyrik bis hin zu Claudette Colbert und Liz Taylor wurde sie auf das Image der feinnasigen orientalischen Despotin festgelegt, war jedoch wahrscheinlich eine griechische Blondine, und Schönheit zählte, laut Plutarch, nicht unbedingt zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften. Solcherlei Wunschfantasien des Kinos wurzeln tief: Schon im 19. Jahrhundert war ein Trüpplein Sektierer nachweislich in den Orient aufgebrochen, um die verdutzten Einheimischen nach einer herbeihalluzinierten mythischen „Überfrau“ zu fragen.

Fortsetzung dieses „Orientalismus“ waren die Hollywood-Schinken der Vierziger- bis Sechzigerjahre. Sie zeigen, wie die Wüste zur Leinwand wird, auf die aktuelle Wunsch- und Angstträume projiziert werden können. Gern sympathisierte das US-Publikum zunächst mit der siegreichen filmägyptischen Großmacht im Kampf gegen benachbarte Wüstenvölker. Doch die Weltgeschichte forderte bald auch im Kino den Paradigmenwechsel. Direkt nachweisbar ist die politisch motivierte Identifikationslenkung ab 1948, als vor der Folie des Historienfilms die Staatengründung Israels abgehandelt wird. Die Filmägypter werden nun als arabische Extremisten und Unterdrücker denunziert. Das negativ konnotierte Filmzitat aus „Samson und Delilah“ – „Push the Zionists back into the sea“ – ist an die Losung der „Jaffa Muslim Organisation“ angelehnt.

Ägypten als Gradmesser soziopolitischer Stimmungen und als Ort der Meinungsmache funktionierte auch in gegenläufiger Richtung: Anton Kutters 1939 entstandener Nazipropagandafilm „Germanen gegen Pharaonen“ (wiederentdeckt von Tom Stern) lässt einen Ägyptologen esoterische Rechenschiebereien mit Pyramidenseitenlängen und Sonnenabständen veranstalten. Im Streitgespräch kanzelt ein Pangermanist den Wissenschaftler als unter dem Einfluss von „Semiten“ stehend ab und rettet mit Hinweis auf die noch viel verzwicktere Konstruktion der Stonehenge-Findlinge die Überlegenheit des Arischen.

Immer wieder spiegelt „das Ägyptische“ im Kino die Paranoia gegenüber fremdkulturellen Leistungen, immer wieder zieht man die Legitimation des eigenen kulturellen Hegemoniedenkens über solche Gründungsmythen der Vergangenheit. Wirklich spannend wird es allerdings, wenn man diese historischen Dimension mit der psychologischen verschaltet. Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die ebenfalls in München zu Gast war, legt in ihrer unorthodoxen Studie „Von Symptomen, Fantomen und Geisterbahnen“ einen alten Bekannten auf die Couch. Ihre Lektüre von „Indiana Jones“ mit Freuds „Totem und Tabu“ führt zunächst ebenfalls über die Nazis: Von „Casablanca“ bis zu „Der englische Patient“ ist der Orient Schauplatz eines Kampfes gegen das porentief Böse. In Kairo wird Indy, wettlaufend gegen die hässlichen Deutschen, auf der Suche nach der mosaischen Bundeslade, der apokalyptische Kräfte innewohnen, zum jüdischen Rächer der Schoah. Bronfen datiert Geschichte dabei sowohl vor als auch zurück: Die Bundeslade selbst gerät zur verspäteten Chiffre, zum Symptom eines Traumas, das erst nachträglich, entstellt und verrückt an anderem Ort „lesbar“ gemacht wird (dabei erscheint nicht nur die Kiste, auch das Kino als Ort der Beschwörung, der Erinnerung, der Therapie). Der Nilstaat, Bewahrer alten kulturelles Erbes, wird dabei zum Ort des geheimen traumatischen Wissens. So bleibt er ein weiteres Mal Kulisse für andere, nicht-ägyptische Erzählinhalte.

Lustig dabei ist Spielbergs selbstironisch zelebrierter Exotismus: In seiner Überinszenierung des Vermummungsgebots erscheinen die orientalischen Dunkelmänner als ultimativ Fremdes, Vertreter einer „nicht lesbaren Kultur“. Fundamentalisten gehören zum Standard-Cast der Genre-eigenen Typologie, und der buddelnde weiße Mann wird seit frühen Valentino-Scheich-Filmen von allerlei schrägen Vögeln umgeben: dem kollaborierende „guten Araber“ etwa, den der Westen von den einheimischen Fanatikern erlöst hat – wieder so eine Wunschprojektion von imperialistischen Gnaden. Zur Besetzung gehört auch ein Weiser, der die fremden Zeichen, Chiffren, zu lesen versteht, wohingegen die Nazis als Analphabeten, als Nichtleser erscheinen.

Auf der Suche nach Erklärungen für Ägyptomanie wurde natürlich auch in München viel geäußert, was ebenso gut für Römer-, Sandalen- oder Bibelfilme gilt. Wer zu dicht vor der Pyramide steht, sieht eben nur noch eine Wand. Den Blick fürs Wesentliche hatte dann zum Glück doch noch ein Ägyptologe: Jan Assmanns Texte zum kulturellen Gedächtnis (u. a. „Stein und Zeit“) bringen die populärkulturelle Faszination für den Nilstaat am besten auf den Punkt. Nicht nur über die offensichtliche Metapher des Großreichs werden Vergänglichkeit und Melancholie zum Fundament der Filmarchitektur. Nirgends waren die letzten Dinge so alltagspräsent, wird der Tod so zum Bildzeichen stilisiert wie im Pharaonenreich – wo die Schrift direkt verweist statt umschreibt. So funktionieren selbst die Pyramiden als Schriftzeichen der Zeit, Markierungen zur Einschreibungen des verstorbenen Herrschers ins kollektive Über-Ich. Was da im Schatten der Grabsteinmonumente geschah, die Positionierung des Menschen zwischen Ewigkeit und Staub, ist – wieder Freud – in seiner Unbehaglichkeit Urgrund aller Kulturproduktion.

Über das Memento mori, das unablässige Wiedererinnern, Wiederbeleben und Verewigen der ägyptischen Monumente entsteht denn auch die Nähe zur abendländischen Geistesgeschichte, gelangt man über die Todesbilder von Barock und Romantik irgendwann zum filmischen Expressionismus: Die gesamte europäische Modeliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts operierte immer wieder mit denselben Settings: Seit Mary Woolstonecraft Shelleys „Frankenstein oder der neue Prometheus“ geht es um den Einbruch des Fantastischen, den Eintritt des Fremden in die Salons des Edwardianismus, Viktorianismus und Biedermeier. Halbwesen wandeln hier auf der Grenze zwischen Tod und Tabu, Kultur und Chaos, Verbotenem und Erlaubtem, und so zeigen sich an Vampir, Werwolf, Monsteraffe und dergleichen auch Todesfurcht, Xenophobie und Sexualangst. Diese Literatur wie Bram Stokers „Dracula“ ins filmische Medium zu übersetzen, ist der erste Schritt, den der deutsche Filmexpressionismus und seine Kreaturen dann nach der Emigration in Hollywood mit anderen Mitteln fortführen. Von hier aus treten die Geschichten von schönen Orientalinnen, von Israelis und Ägyptern, ihren Siegeszug durch die westliche Welt an.

Gerade ein Accessoire, die Mumie, taugt dabei zur komplexen Gedächtnismetapher (insbesondere seit Stokers Mumienroman „Jewel of Seven Stars“). Die fremde Kreatur, die jahrhundertelang nur als skurriles Import-Exotikum auf dem Warenmarkt zirkulierte, entwickelt im Kino plötzlich ein fiktionales Eigenleben. Der eingeschnürte untote Ägypter wird zum späten Rächer der Kolonien und als „creature“ gleichzeitig zur Bedrohung der Salons. Dabei hat die Mumie ein unerschütterliches Gedächtnis in Sachen Liebe wie Politik. Der Plot geht meistens so: Wegen eines nekrophilen Frevels zum ewigen Grabwandeln verdammt, wird die Mumie wiedererweckt von allzu gierigen Archäologen. Sie macht die Wissenschaftler nieder und eilt nun in die Salons und reißt kraft telepathischer Mächte die weiße Frau zur baldigen Einbalsamierung mit sich fort. Einhalt gebieten hier nur noch mutige Männer: Immer wird die Kreatur niedergezwungen, cleane Moral wieder hergestellt durch die Agenten des Patriarchats: Detektive, Priester und Doktoren.

Ein blinder Fleck bleibt noch: Bis hin in die Cultural Studies bleibt beim Reden über anderes, Fremdes eben dieses Fremde häufig außen vor. Trotz vorliegender Angebote gab es auch auf dem Münchner Symposium keine Beiträge über die ägyptische Filmindustrie, eine der einflussreichsten der Welt. Damit fehlen also mindestens zwei große Vertreter hausgemachter Ägyptomanie.Youssef Chahine natürlich, der ägyptisch-arabische Gegenwart und Historie wieder und wieder parallelisiert, aneinander bricht, miteinander erklärt, und Shadi Abdes-Salam, der mit seinem Mumienfilm „Al-Mumiya“ bereits 1969 den Blick umkehrte und inmitten antiker Stätten nach der Moderne suchte: In seinem Film stößt ein Trupp von Archäologen um die Jahrhundertwende auf eine Sippe von Grabräubern, deren jüngste Mitglieder bereits die Hehlerei mit der Vergangenheit infrage stellen. Vordergründig Porträt einer Stammesgesellschaft im Umbruch, gelingt Abdes-Salam eine Untersuchung über Rückbesinnung und Neudefinition der ägyptischen Kultur.

Ansonsten bleiben die Ägyptiaca in der Populärkultur Werkzeuge westlicher Nabelschau, Indikatoren nur für einen gänzlich diesseitigen Spuk, den Zeitgeist. In „Die Mumie kehrt zurück“ etwa wird Altes mit neuer Beschleunigung erzählt. Der verdrängte Gehalt der Kreatur, exotischer Platzhalter für kulturell wie sexuell Anderes, wird nun manifest: Die Mumie, einst somnambuler Wiedergänger, wird hier sexy hochgeputscht zu einem muskelbepackten, anabolikastrotzenden Bodybuilder namens Hohepriester Imotep. Und wo Indiana Jones noch den großen Abenteuerfilm nacherzählte, bleibt das Sequel schon beim Leichenfleddern im Untergrund stecken. Das ganz große Sampling setzt indes mit Lara Croft ein. Im Videospiel „Tomb Raider IV“ vermengt sie alle Imagerien des Fremden, betreibt ein panisches Crossover der Bilderwelten und eilt durch indianisch-ägyptische Labyrinthe. Tief unten treffen wir wieder das altbekannte koloniale Environment: den gierigen Archäologen und seine Kumpanen, den Fluch, der den Grabfrevler trifft, Mumien natürlich, Skarabäen, Hieroglyphen, Obelisken, Seth und Horus. Martialische Muslime sind auch in dieser Ägypten-Adaption tunlichst zu meucheln.