: Die Ästhetik vergammelter Wände
■ Die Klang- und Co.-Künstlerin Christina Kubisch zeigt blaue Schimmel-Fotografien und künstliches Vogelgezwitscher in der Galerie Beim Steinernen Kreuz
Man könnte meinen, modrige Wände sind ihr Leben. Zumindest beschäftigt sich Christina Kubisch einen Großteil ihrer Zeit mit Salpeter, Schimmel und Wasserflecken. Die in Bremen geborene Künstlerin studiert eingängig die Muster, Strukturen und Zeichnungen im Putz, beleuchtet die schönsten Stellen mit einer Archivlampe – solche Lampen haben einen hohen UV-Anteil und werden meist von Restauratoren benutzt – und fotografiert. Jetzt zeigt sie ihre Schimmelbilder in ihrer Geburtsstadt. Und was zunächst langweilig klingt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst eindrucksvoll.
Die Galeristin Brigitte Seinsoth geht über das knarzende Parkett ihrer Ausstellungsräume. An der Wand hinter ihr hängt ein Bild fast im Stil Caspar David Friedrichs. Die Kreidefelsen, gestochen scharf gemalt, Küste, tosendes Meer, ein Baum. „Bei der Ausstellungseröffnung hat niemand bemerkt, dass die Motive dieser Bilder Kellerwände sind“, erinnert sie sich während sie auf einzelne Arbeiten zeigt. „Außer einem Spezialisten für Haussanierungen.“ Und es stimmt. Auch der Caspar David Friedrich ist in Wirklichkeit kein solcher, sondern die Fotografie einer Kellerwand.
Es sind Christina Kubischs Fotografien. Seit langer Zeit sind die beiden Frauen miteinander befreundet, Kubisch stellt nicht zum ersten Mal in der Galerie Beim Steinernen Kreuz aus. „Was mir an ihren Arbeiten gefällt, ist“, so Seinsoth, „dass sie es schafft, mich etwas neu sehen zu lassen. Sie macht durch dieses UV-Licht Schichten sichtbar, die im Verborgenen liegen.“ Das Ergebnis sind Weltraumbilder, schwimmende Eisschollen im Polarmeer oder ein aufziehendes Gewitter.
Kubisch liebt es, zu entdecken. Deshalb war für sie die Fotografie „Frl. Bühler“ ein besonderer Fund. Im Keller einer alten Villa stieß sie auf ein Stück nicht übertünchter Wand mit schwach lesbarer Schrift. Unter UV-Licht zeigte sich ein Schaltplan für die Elektrik für das „Zimmer der Dame“, die Bibliothek und das Zimmer von besagtem Frl. Bühler. Die Ästhetik der Gammel-Gemäuer verbirgt sich unter Putz und Rissen. „Sie ist ein Grenzgänger“, beschreibt Galeristin Seinsoth. „Sie lässt sich nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen. Sie schafft es, die Grenzen zwischen bildender Kunst und anderem zu verwischen.“ Damit meint Seinsoth die Klanginstallationen.
Auf dem Balkongeländer der Galerie sitzen zehn kleine blütenähnliche Lautsprecher, an der Wand sind in exakten Abständen Solarzellen montiert. Kein Kabel schlabbert lose herum, hier war ein Profi am Werk. Die 53-jährige Kubisch hat neben Kunst und Musik auch Elektronik studiert. Wenn die Sonne hinter den Wolken hervorkommt, senden die Solarzellen elektrische Impulse an die Lautsprecher und es ertönt ein hektisches Quaken, Zwitschern, Summen und Piepen. Die Klänge folgen dem Rhythmus der Natur. Tagsüber ertönt künstliches Vogelgezwitscher, in der Dämmerung insektenähnliches. Licht bedeutet Leben, Dunkelheit Stille. Drinnen dann wieder blaue Bilder. Australien von oben? Ein Korallenriff? Ein Schwarm Fische? Nein, alles nur Schimmel, Wasserflecken und Risse im Putz. Wie sich die Sinne doch täuschen lassen. Und das Vogelgeschrei aus dem Lautsprecher tönt noch viele Häuser weiter. spo
Bis zum 18. August in der Galerie Beim Steinernen Kreuz 1. Öffnungszeiten: mi. und fr. von 14 bis 19 Uhr, do. von 14 bis 20 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr.
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