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Schwarzer Rauch über dem Gipfel

Über die richtige Demotaktik kommt es zu Streit zwischen Autonomen und den italienischen „weißen Overalls“. Autos gehen in Flammen auf

aus Genua MICHAEL BRAUN

Der „Tag des Ungehorsams“, zu dem das Genua Social Forum (GSF) für den gestrigen Freitag aufgerufen hatte, begann schon am späten Vormittag mit schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Pläne des GSF, mit Aktionen des zivilen Ungehorsams die Zugänge zur „roten Zone“, wo die Regierungschefs tagen, zu belagern oder auch mit „passiver Gewalt“ zu durchbrechen, wurden schnell vom „schwarzen Block“ über den Haufen geworfen. Hunderte Autonome und Anarchisten aus Großbritannien, aus Deutschland und – in geringerer Zahl – aus Italien funktionierten zunächst die friedliche Demonstration der Basisgewerkschaften Cobas um; dann zerschlugen sie in der City Schaufensterscheiben und Bankautomaten, entzündeten Müllcontainer und Autos. Polizei und Carabinieri antworteten mit massiven Knüppel- und Tränengaseinsätzen.

Anschließend marschierten die Autonomen in Richtung des Demonstrationszugs der „Tute Bianche“. Die „weißen Overalls“ waren mit 20.000 Anhängern vom Stadion Carlini in Richtung Zentrum aufgebrochen. Den Versuch einiger hundert Autonomer, sich in ihren Zug einzureihen, wehrten sie ab; doch ihr Plan, ohne Auseinandersetzung mit dem gewaltbereiten schwarzen Block zur „roten Zone“ zu gelangen, war damit gescheitert.

Gegen 15 Uhr schließlich hieß es auch gegen die „Tute Bianche“ Knüppel und Tränengas frei. Carabinieri-Einheiten attackierten nahe des Bahnhofs Brignole die Demonstranten, die ihrerseits entgegen der ursprünglich bekundeten Absicht, auf Offensivwaffen zu verzichten, mit einem Steinhagel antworteten.

Auch an den Zugängen zur roten Zone spitzte sich am frühen Nachmittag die Situation zu. An der Piazza Corvetto und der Piazza Dante – dort hatten sich auch zahlreiche Pazifisten der „Rete Lilliput“ eingefunden – eskalierte die Situation, als Gruppen von Protestlern versuchten, die hohen Metallzäune aufzubrechen. Die Polizei war jeweils mit dutzenden gepanzerten Fahrzeugen sofort zur Stelle und erstickten alle „Einbruchsversuche“ im Keim. Zwei Demonstranten gelang es, über den Zaun zu klettern; auf der anderen Seite wurden sie sofort in Gewahrsam genommen. Derweil wählten die Autonomen als neues Ziel das Gefängnis Marassi, das sie mit Molotowcocktails attackierten.

Schon am Donnerstag war es der italienischen Regierung gelungen, jeden Anschein von Alltag, von Normalität aus Genua zu verbannen und die Metropole zur ebenso gespenstischen wie gespaltenen Kulisse zweier Parallelwelten – die der Politiker und die der Demonstranten – zu verwandeln.

„Die Apotheke bleibt während der gesamten Gipfelwoche offen“, verheißt das Schild im Schaufenster an der Piazza Corvetto, direkt am fünf Meter hohen Zaun der roten Zone. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht haben die Anwohner vor Augen: Weit und breit ist kein anderer Laden, keine Bar, kein Zeitungsstand offen.

Viele Genusen haben schon vor Tagen ihre Stadt verlassen. Rund um den Palaco Ducale, wo die Staats- und Regierungschefs seit gestern Mittag tagen, ist jedes Leben zum Erliegen gekommen. Die wenigen Einwohner, die durchhalten, stöhnen unter Dauerkontrollen. „Morgens um halb acht haben sie an der Wohnungstür geklingelt“, berichtet die Inhaberin eines Schreibwarengeschäfts. „Sie wollten wissen, wer sich bei uns aufhält.“ Und ihr Ehemann fragt sich, ob es von der Verfassung gedeckt ist, wenn er vor dem Betreten des eigenen Hauses den Ausweis herzeigen muss.

Gescheitert ist die Regierung mit dem Versuch, die Protestierer fernzuhalten, indem sie die Anreise nach Genua als Hindernisrennen gestaltete. Trotz Sperrung der Bahnhöfe, trotz falscher Informationen über vorgeblich komplett ausgebuchte Züge, die dann leer nach Genua rollten, und auch trotz des Drucks auf Fuhrunternehmen, den Anti-G-8-Gruppen keine Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, strömten schon am Mittwoch und Donnerstag zehntausende in die Stadt.

Und so gespannt die Atmosphäre angesichts der allgegenwärtigen Polizei war – erstmal wurde gefeiert. Nicht mit einer Kundgebung, sondern mit dem Konzert von Manu Chao, der musikalischen Ikone der Globalisierungskritiker, begannen am Mittwochabend die Veranstaltungen des Genua Social Forum auf der weiten Piazzale Kennedy, direkt gegenüber dem Messegelände, wo die „anderen“ – Polizei und Carabinieri – ihr Hauptquartier haben.

Am Donnerstagnachmittag hatte die Protestaktionen mit einer Demonstration der Migranten begonnen und schon lange vor dem Abmarsch war die Piazza Sarzano, direkt hinter der roten Zone, brechend voll. Die Kurden der PKK, Bolivianerinnen in Andentracht, ein buddhistischer Mönch aus Japan, die Gruppe der Senegalesen aus Genua, Bangladeshis aus Rom und natürlich tausende europäische Mitglieder des „Volkes von Seattle“ waren dem Aufruf gefolgt, für eine „Welt ohne Grenzen“, für eine „Globalisierung der Menschen, nicht der Waren und des Kapitals“ zu demonstrieren. Stundenlang zogen die 40.000 durch das menschenleere Genua.

Die paar Daheimgebliebenen allerdings zeigten deutlich, wo ihre Sympathien liegen, winkend und Beifall klatschend. Selbst 80-jährige Damen spendeten den Jugendlichen der „Centri sociali“ Applaus – und wurden mit Ovationen von unten belohnt. Wie von den Organisatoren geplant, ging die Demo vollkommen friedlich über die Bühne. Die Konfrontation, sie begann gestern. Am heutigen Samstag soll die Hauptdemonstration stattfinden.

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