: Schwarze Heimat Nord-Neukölln
Neukölln hat sich zum Zentrum der afrikanischen Community gemausert. Die Gemeinschaft wächst rasant, der Einzelhandel blüht. Ein Grund: Rassistische Vorfälle sind selten. Nur die Hasenheide meiden junge Afrikaner – aus Angst vor Drogenrazzien
von PETER KESSEN
„Die Deutschen haben mittlerweile verstanden, dass wir nicht auf Bäumen leben.“ Margaret Salim lacht hinter der Bar in ihrem African Center in der Neuköllner Nansenstraße. Die 39-jährige ehemalige Krankenpflegerin aus Sierra Leone lebt seit zwölf Jahren in Neukölln: „Ich habe bisher überhaupt keine Probleme gehabt. Die Deutschen hier sind ja an das Leben mit Ausländern gewöhnt!“
Vor 15 Jahren kam sie aus Sierra Leone nach Deutschland, um als Krankenpflegerin zu arbeiten. Vor zwei Jahren hat sie den African Center eröffnet, zuerst als Restaurant, jetzt als Bar mit Telecafé. Der Treff ist ein Beispiel für die größte afrikanische Community in Berlin, die seit zwei Jahren im Problembezirk Nummer eins aufgeblüht ist.
Ende 2000 lebten die meisten Afrikaner, 1.920 Menschen, in Neukölln. Der Zuzug stieg in den vergangenen beiden Jahren um jeweils rund fünfzehn Prozent. Der größte Teil von ihnen wohnt im Nordteil des Bezirks zwischen Herrmannplatz und Silbersteinstraße. Eben in jener vom Spiegel ausgerufenen „Endstation Neukölln“ blüht der afrikanische Einzelhandel. Mittlerweile existieren auf rund sechs Quadratkilometern im nördlichen Kiez des traditionellen Arbeiterbezirkes zwölf afrikanische Geschäfte, neben Afro-Shops liegen Bars, Plattenläden und zwei Friseure.
Von den Wänden des African Centers leuchtet ein grün-oranges Trapezmuster, neben dem Bar-Tresen reihen sich Telefonzellen. Zu den Stammkunden gehört Rudi Fritz, ein 64-jähriger pensionierter Gärtner: „Ich bin gerne hier drinne, weil alle, die auch ’ne schwarze Hautfarbe haben, immer freundlich sind.“ Jetzt will Rudi Fritz im African Center eine Fußballmannschaft aufbauen. Als Trainer natürlich.
Im weiteren Gespräch offenbart sich multikultureller Alltag. Rudi Fritz diskutiert mit Salif Awd aus Sierra Leone: „Es gibt viel zu viel Illegale, die das alles ausnützen, vom Staat, das Geld!“, meint Fritz. Salif Awd widerspricht nicht. Im Gegenteil, er fordert eine Arbeitspflicht für jeden Asylbewerber: „Du musst jeden Monat sehen: Dieser Mann arbeitet nicht! Dann kannst du ihn kriegen“.
Salif Awd arbeitet als Friseur, seit 21 Jahren lebt er in Deutschland mit einer deutschen Frau und vier Kindern. Seine Betonung von Fleiß und Rechtschaffenheit findet man bei vielen Afrikanern. Als ob sie immer wieder ihren Status als fleißige Immigranten betonen müssten. Gerade in Nord-Neukölln mit seiner Arbeitslosenquote von rund fünfunddreißig Prozent. Vielleicht haben sie manche Vorwürfe der deutschen Neuköllner zu oft gehört.
In der Kneipe „Selchower Eck“, gegenüber vom Afro-Shop „Tropical Markt“, redet sich Jürgen Retzke, ein pensionierter Kraftfahrer, in Rage. Die Afrikaner, das sei „Gesockse“, das nicht arbeite und staatlich finanziert im 560er-Daimler mit zwei Handys vorfahre. Träger solcher Vorurteile könnte das Arbeitsamt-Süd mitteilen: 311 afrikanische Menschen ließen sich Ende Mai als arbeitslos registrieren – bei rund 1.600 Erwerbsfähigen eine kiezübliche Quote.
Zudem machen sich immer mehr Afrikaner selbstständig, sie übernehmen die Ladenflächen des bankrotten deutschen Einzelhandels. Die Nachfrage sichern die zuziehenden Afrikaner, die vielen noch billigen Wohnungen hier sind ein Argument für den Kiez. Und die multikulturelle Atmosphäre – mit einem Ausländeranteil von dreißig Prozent. Hier können Immigranten sicherer leben, antirassistische Initiativen und die Polizei registrieren kaum Angriffe auf Nichtdeutsche.
Aus diesen Gründen hat Adjei Samuel in der Selchower Straße seinen „Tropical Markt“ eröffnet. Auf fünfzig Quadratmeter stapeln sich Kochbananen und Maniok neben Kosmetikartikel und wild geschwungenen Kunsthaaren. Vor fünf Jahren hat 44-jährige Ghanese angefangen. 1981 kam Samuel nach Deutschland, er wurde als politisch Verfolgter anerkannt. Fünf Jahre arbeitete er als Spritzgießeinrichter in der Metallindustrie. Nach einer Firmenpleite war er ein Jahr arbeitslos, dann kam die Idee „Afro Shop“.
Neukölln war seine erste Wahl: „Hier ist das Leben fast wie 30 Prozent unseres Lebens in Afrika. Wenn du am Hermannplatz ankommst, sagt jeder guten Tag“, beschreibt Samuel seinen Kiez. „Hier sind die Menschen offen.“ Millionär könne man mit so einem Laden zwar nicht werden, „aber wir verdienen unser Abendbrot, die Kindergartengebühr und unsere Wohnung“. Als aufstrebender Geschäftsmann betont er immer wieder seine gute Meinung von Deutschland, er befürwortet auch die Razzien gegen Dealer in der Hasenheide.
Im Gegensatz zu Steven Jusu, der sich – wie viele junge afrikanische Männer – als Opfer der Polizei fühlt. Der 31-Jährige aus Sierra Leone ist als politisch Verfolgter anerkannt. Er hat gerade eine Ausbildung zum Heizlüftungsmonteur abgeschlossen. Den Volkspark meidet er mittlerweile: „Also, im Sommer bin ich mal dort gewesen, um zu lesen“, erzählt der Mann aus Westafrika. „Die Polizei hat kontrolliert und mir drei Mal Parkverbot gegeben, obwohl ich nichts mit Drogen zu tun habe.“
Die Mehrheit der rund 2.000 Afrikaner in Neukölln verfügt über einen halbwegs sicheren Aufenthaltsstatus, die meisten sind schon in den 80er-Jahren nach Deutschland gekommen. Rund ein Fünftel von ihnen stammt aus Ghana.
Steven Jusu hat gerade die Konsequenzen des deutschen Aufenthaltsrechts zu spüren bekommen. Die Adema GmbH hat ihm Anfang Juli schriftlich einen „Vorstellungstermin“ angeboten, für eine Arbeitsstelle als Schweißer.
Für eine Einstellung verlangt die Firma einen sicheren Aufenthaltsstatus von fünf Jahren. Die Ausländerbehörde gestattet jedoch nur eine zweijährige Aufenthaltsbefugnis. „Und mehr wollen sie mir nicht geben“, klagt Jusu. Zusätzlich fordert das Arbeitsamt 500 Mark für Arbeitskleidung zurück. Und das Sozialamt droht mit Zwangsarbeit, Stundenlohn fünf Mark. Steven Jusu will nun nach England ziehen.
Über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügt Iseewanga Indongo-Imbanda. Der 58-jährige Kongolese hat in Berlin Soziologie studiert. Schon seit 1968 wohnt er in Neukölln, mit einer Deutschen hat er einen Sohn. Die Migrationsströme im Kiez hat er miterlebt: „Am Anfang wohnten hier die Arbeiter. Dann kamen die Immigranten. Die Deutschen sind immer weiter nach Süden gezogen. Wir haben damals schon Witze gemacht. Wie weit wollen sie noch gehen, da ist doch die Mauer?“
Als politischer Aktivist kritisiert er, dass sich zu wenig Afrikaner organisieren. Die Unterschiede der Bildungsniveaus und Sprachen seien hinderlich. Indongo-Imbanda ist bei seinen Forschungen aufgefallen, dass in der deutschen Öffentlichkeit die so genannte „Toleranzschwelle“, der oft genannte Ausländeranteil, eine zentrale Rolle spiele. Ein biologischer Begriff, der die Gesellschaft mit einem Organismus verwechsele, der sich gegen Fremdkörper wehre. Und beim Abschied an der Haustür sagt Indongo-Imbanda noch schnell: „Vergessen Sie nicht, Afrika ist kein Land, nur ein Kontinent mit sehr großen Unterschieden. Es gibt keine Afrikaner. Auch nicht in Neukölln!“
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