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Mit neuen Parteien auf dem Weg zur Glückseligkeit

Mit „Saadet“ buhlt eine neue Gruppe um die Gunst der Islamisten. Doch die Nachfolgerin der Tugendpartei bekommt Konkurrenz im eigenen Lager

ISTANBUL taz ■ Anklänge an das Reich der Glückseligkeit und Erinnerungen an die Zeit, als der Prophet Mohammed noch persönlich auf Erden weilte, soll bei gläubigen Muslimen der Name Saadet-Partisi auslösen. Unter diesem alten arabischen Begriff, der im Türkischen nur noch selten gebraucht wird, gründete sich am vergangenen Freitag in Ankara eine neue Partei, hinter deren Namen sich allerdings viel Altbekanntes versammelte. Die Partei der Glückseligkeit ist die Nachfolgeorganisation der vor einem Monat verbotenen Tugendpartei, die, wie Necmettin Erbakan, der Spiritus Rector der türkischen Islamisten bereits unmittelbar nach dem Verbot angekündigt hatte, lediglich das Schild ausgetauscht hat.

Für Erbakan ist das bereits reine Routine. Seit er 1970 die erste islamistische Partei in der kemalistisch-laizistischen türkischen Republik gründete, ist die Saadet-Partisi bereits der fünfte Versuch – die vier vorangegangenen Parteien wurden sämtlich verboten. Auch Erbakan selbst ist noch bis Ende 2003 mit einem Politikverbot belegt, weshalb bereits die Tugendpartei formal nicht von ihm, sondern von einem seiner engsten politischen Freunde, Recai Kutan, geleitet wurde. Fürs Fernsehen und auf dem Papier darf Kutan nun auch der Saadet-Partisi wieder vorsitzen, während im Hintergrund Erbakan die Fäden zieht.

Das eigentlich Neue ist deshalb auch nicht die Saadet-Partei, sondern eine weitere religiös-konservative Partei, deren Gründung unmittelbar bevorsteht. Zum ersten Mal, seit sich der Islam in der Türkei 1970 politisch organisierte, ist die Bewegung jetzt gespalten. Der so genannte reformistische Flügel innerhalb der Tugendpartei verweigerte Erbakan nach jahrelangen Auseinandersetzungen jetzt erstmals die Gefolgschaft und wird nun eine eigene Partei gründen. Führungsfigur der zukünftigen Partei ist Tayyip Erdogan, bis 1996 erfolgreicher islamistischer Oberbürgermeister von Istanbul. Tayyip Erdogan verlor 1996 nach einem Prozess wegen angeblicher Volksverhetzung nicht nur sein Amt, sondern musste auch für vier Monate ins Gefängnis und erhielt wie sein damaliger Mentor Erbakan Politikverbot.

Mittlerweile hat sich Tayyip Bey mit Erbakan überworfen und gibt sich als geläuterter Demokrat, der zwar weiter ein gläubiger Mensch ist, den Islam aber nicht mehr zu politischen Zwecken einsetzen will. Etliche Kommentatoren sehen im Streit zwischen Erbakan und dessen Statthalter Kutan auf der einen und Tayyip und seinen Gefolgsleuten auf der anderen Seite lediglich einen Generationenkonflikt in der islamistischen Bewegung. Begründung: Erbakan wollte die Jüngeren nicht an die Fleischtöpfe lassen. Demgegenüber werden Tayyip und sein programmatischer Kopf Abdullah Gül nicht müde zu betonen, sie wollen eine neue, moderne konservative Partei gründen, die auf dem Boden der laizistischen Republik steht und ihre Wähler weit über das religiöse Spektrum hinaus suchen wird.

Zunächst geht es aber darum, wer von den hundert ehemaligen Abgeordneten der Tugendpartei, die nach dem Verbot alle zu Unabhängigen wurden, mehr auf seine Seite ziehen kann. Es scheint, dass Tayyip in diesem Rennen bereits die Nase vorn hat. Zusammen mit einigen Überläufern aus den Reihen der anderen Rechtsparteien soll Tayyip Erdogan bereits jetzt 55 Abgeordnete hinter sich gebracht haben. Er wäre damit bereits Oppositionsführer, noch bevor seine Partei überhaupt offiziell gegründet wurde.

Dieses Bild deckt sich mit allen Meinungsumfragen aus den letzten Monaten, die übereinstimmend Erdogan als einen der populärsten Politiker des Landes auszählten. Seine noch zu gründende Partei könnte bei landesweiten Wahlen bis zu 30 Prozent erreichen, während alle anderen im Parlament vertretenen Parteien derzeit in Umfragen unter der für einen Einzug ins Parlament zu überspringenden 10-Prozent-Hürde bleiben. Außer Erdogan hat nur noch der parteilose Wirtschaftsminister Kemal Dervis ähnlich hohen Zuspruch. Doch ob Dervis, der sich selbst als Sozialdemokraten in der Tradition von Blair und Schröder bezeichnet, wie vielfach spekuliert, ebenfalls demnächst eine neue Partei gründen wird, ist zurzeit noch offen.

Für Tayyip Erdogan sind dagegen die Würfel gefallen. Nachdem das Verfassungsgericht in der letzten Woche in einem ählich gelagerten Verfahren ein Politikverbot aufgehoben hat, ist nun auch für ihn der Weg frei. Nicht die Saadet-Partisi, sondern Tayyip Erdogan scheint für den größten Teil der konservativen, religiösen Wähler der Türkei der neue Weg zur Glückseligkeit zu sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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