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Der Sportsgeist geht duschen

■ Rätsel des Freibad-Alltags: Warum sind Männer nicht in der Lage, von ihrer Bahn abzuweichen? Biologische Ursachen? Patriarchalisches Dominanzverhalten?

Es ist heiß. Ab ins Freibad. Schwimmen ist ja soooo beruhigend. Lächerlich. Körperertüchtigung in öffentlichen Badeanstalten ist so entspannend wie ein 30-stündiger Bustrip mit Rainbowtours an die Costa Blanca inklusive Motorschaden, besoffenem Kegelclub und verstopftem Klo.

Dabei ist die bratzige Kassiererin – „Ermäßigung gibt es nur mit Ausweis!“ – von geringem Übel. Hey, und auch die gepfefferten Bremer Eintrittspreise können eingefleischten Schwimmfreaks doch nicht die Lust aufs kühle Nass nehmen. Die zehnjährigen Jungs, die sich ohne Rück- und Weitsicht vom Beckenrand ins Wasser werfen und dabei die jugendlichen Hoden umklammern – „Alder, ich mach –ne Eierbombe“? Vergleichsweise harmlos. Schaum vor den Mund verursachen erst die zumindest körperlich ausgewachsenen Exemplare der Gattung „Männlicher Be-ckenheld“, die den Chlor durchpflügen, als wären sie auf einem einsamen See, den sie sich höchstens mit ein paar Enten teilen müssen.

Auftritt in knappem Höschen: Der Held nähert sich mit eingezogenem Bauch seinem Revier, dem Schwimmerbecken. Der Name ist Programm, hat die feministische Sprachwissenschaft schon immer gewusst. Wäre es ein Schwimme-rinnenbecken, bliebe uns eine Menge Stress erspart: Der Held sichtet das Kampffeld, klarer Fall, die Weibchen in der dritten Bahn von links müssen weichen. Das ist seine Bahn! Schon immer, hat er auch bereits markiert, mit Urin oder mit großzügig in die Brustbehaarung einmassiertem „Irischem Frühling“ oder provozierendem „Axe“. Der Held nimmt Maß und schmeißt seine mindestens 90 Kilo Lebendgewicht in weitem Bogen ins Wasser. Prustend und schnaufend krault der Held unter Einsatz aller Gliedmaßen ans andere Ende. Kraulen ist wichtig, denn Brustschwimmen – hört man ja schon am Wort – ist was für Warmduscher und Badeanzüge. Ein Mann spreizt seine Beine nicht wie ein Frosch. Ein Mann tritt das Wasser mit Füßen, dass es nur so kracht! Doch was muss der Held da sehen? Ein feindliches Schwimmobjekt nähert sich ihm auf seiner ureigenen Bahn! Das ist verboten, das gibt es ja gar nicht! Deshalb wird das Schwimmobjekt ganz einfach ignoriert.

Nein, wir tun dem Helden hier Unrecht. Er kann nichts dafür, dass er regelmäßig Mitschwimmerinnen über den Haufen krault. Er kann sie a) nicht sehen, denn er hat ja den Kopf unter Wasser und b) er kann gar nicht ausweichen, denn er muss auf seiner Linie bleiben! Das ist Gesetz, ein Abkommen von der schwarzen Linie auf dem Beckenboden wird vom Meergott Poseidon mit Badehoserunterziehen bestraft. Oder gibt es biologische Gründe für das sture Geradeausschwimmen? Können Männer wegen einer Unausgewogenheit der linken und rechten Gehirnhälfte keine Schlenker schwimmen? Diese Fragen lassen sich nicht abschließend klären, denn jeder Versuch, mit einem dieser Herren ins Gespräch zu kommen, muss scheitern, weil niemand sein Pensum unterbricht, um mit Badeanzügen Selbstverständlichkeiten auszudiskutieren.

Diskutieren kann auch unter Umständen gefährlich sein. In einem Berliner Hallenbad drohte am Ende einer Debatte um korrektes Schwimmverhalten ein Held mit Prügel. Interessanterweise nicht deshalb, weil ihm nicht ausgewichen wurde, als er sich frontal näherte. Vielmehr erregte er sich über eine Brustschwimmerin vor ihm, der er in die Füße kraulte. Als hätte sie keine Augen im Hinterkopf!

Wenn der Held seine Bahnen gezogen hat, ohne von zickigen Badeanzügen aufgehalten worden zu sein, bleibt er schnaufend am Be-ckenrand hängen und heischt um Aufmerksamkeit für seine Heldentat. Damit alle sehen, wie heldenhaft und muskulös er ist, muss er seine Arme über die ganze Breite der Bahn auf den Beckenrand aufstützen. Diese Zone ist dann für Wendemanöver anderer Leute gesperrt, bis er sich bei eingezogenem Bauch aus dem Wasser stemmt und einen letzten vernichtenden Blick auf das bezwungene Gewässer wirft, dessen Wogen sich sachte glätten.

Die aufgebrachten Gemüter der im Becken Verbliebenen kann dieser Rückzug nicht mehr beruhigen und der Sportsgeist ist längst duschen gegangen. Anders als sonst wird die Reihe blümchenbesetzter Badekappen, die in Fünferreihen mehrere Bahnen blockieren, nicht mehr großräumig umschwommen, sondern einfach umgepflügt. Dafür zwingt uns der Bademeister in der Herrenumkleide sauber zu machen. ei

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