: In den guten Schulen stören die Dauertests nur
Viele US-Schulen verwenden heute schon die Leistungstests, die ihr Präsident in Amerika einführen will. Sie wollen die Aufmerksamkeit ihrer Schüler wecken. Alternative Schulen aber sind gegen die staatlichen Prüfungen: Sie versetzen die Schüler in Panik und führen zu sinnloser Paukerei
WASHINGTON taz ■ Herb hat sich einen Schokoriegel für 0,75 Dollar und ein Päckchen Kaugummi für 0,50 Dollar gekauft. Frage an einen Drittklässler: „Was musst du noch wissen, um herauszufinden, wie viel Wechselgeld Herb bekommt?“ Der „Stanford 9“, ein Standardtest für Mathe, gibt die Wahl zwischen vier Antworten. „A: wie viele Kaugummis in der Packung waren. B: wo er den Schokoriegel und das Kaugummi gekauft hat. C: wie groß der Schokoriegel ist. D: wie viel Geld er dem Verkäufer gegeben hat.“
Künftig sollen 22 Millionen Schulkinder von der dritten bis zur achten Klasse jedes Jahr auf diese Weise getestet werden – so hatte es George W. Bush in seinem Präsidentschaftswahlkampf versprochen und so hat er seine Bildungsreform auch ins US-Parlament eingebracht. Wissen mehrere Jahre hintereinander nicht genug Kinder, dass „D“ die richtige Antwort ist, dann wird die Schule zur Rechenschaft gezogen (siehe Kasten). Der Präsident will mit den Tests die Lehrer und Schulverwaltungen unter Druck setzen. Er setzt darauf, dass Rechenschaftspflicht zu Leistung anspornt und dadurch Wunder wirken kann.
Für die Schüler der Merritt Elementary School in Washington gehört Testen schon heute zum Alltag. „Wir sind strahlende Sterne – Schaut her, wie wir strahlen“, heißt es auf selbst gemalten Bannern im Foyer der Grundschule im armen Nordosten der US-Hauptstadt. Morgens stimmen patriotische Lieder über Lautsprecher die ausnahmslos schwarzen Kinder auf den Unterricht ein. Die Einrichtung ist karg, aber blitzsauber. Alle Schüler tragen eine grün karierte Uniform.
Schulleiterin Nancy Shannon ist eine Verfechterin hoher Standards. Sie steigerte den Anteil ihrer Schützlinge, die richtig oder besonders gut lesen können, innerhalb von zwei Jahren von 20 auf 27 Prozent. Bush stattete der Vorzeigeschule nicht nur in seiner ersten Amtswoche einen viel beachteten Besuch ab. Er lud Shannon auch zu seiner Rede vor dem Kongress ein, wo sie zwei Reihen hinter „First Lady“ Laura Bush sitzen durfte.
Die Direktorin der Merritt School will beweisen, dass öffentliche Schulen nicht so schlecht sein müssen wie ihr Ruf. Sie hat einen undogmatischen Ansatz: „Wir haben hier schon so ziemlich alles ausprobiert.“ So gehört zum Angebot ihrer Schule auch ein Montessori-Programm, in dem die Kinder weitgehend selbst bestimmen, was sie lernen. Aber auch sie werden getestet – obwohl dies der Montessori-Philosophie des spielerischen Lernens widerspricht. Dem Gesamtergebnis schadet es nicht: Montessori-Kinder errreichen im nationalen Vergleich 60 bis 90 Prozent der Testanforderungen. Ob der Montessori-Unterricht durch die Dauerprüferei besser wird, steht auf einem anderen Blatt.
Vor allem in den Alternativschulen und denen mit besonderen Bedingungen gilt Testen nicht als Allheilmittel. Gerade in sozial schwachen Gegenden findet vieles, was Kinder am Lernen hindert, außerhalb des Schulgebäudes statt. Wer schon vor dem Schulweg Angst habe oder zu Hause nicht ruhig schlafen könne, der müsse ganz andere Dinge lernen als die Antworten auf einen Test, meint etwa Shannons Kollegin Nora Gutierrez von der alternativen Maya-Angelou-Schule in Washington.
Mit kleinen Klassen, langen Schultagen und ganzjährigem Unterricht richtet sich Gutierrez' Schule an schwarze Jugendliche, die am Regelsystem gescheitert sind. Das Modell ist erfolgreich, aber teuer und damit schwer übertragbar. Die Maya-Angelou-Schule stützt sich auf private Sponsoren, um innovative Methoden auszuprobieren. Für das Computerlabor der Schule oder das Wohnheim für Jugendliche reichen die öffentlichen Mittel nicht.
Gutierrez hält Testen für Geldverschwendung. Die dauernden Prüfungen versetzten die Schüler in Panik und führten zu sinnloser Paukerei. Nützliche Fähigkeiten, wie zum Beispiel einen Job zu finden und den erfolgreich bewältigen zu können, würden dadurch nicht erlernt. Auf Testergebnisse zu starren, ändere nichts an überfüllten Schulen, überforderten Lehrern und weit verbreiteter Mutlosigkeit. „Kinder kommen doch nicht aus einem Vakuum“, sagt sie. „Aber das wollen die Leute nicht sehen. Sie suchen immer nach einer Zauberpille.“
ELLY JUNGHANS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen