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Jedes Jahr ein Schultest

Im Schlepptau ihres Präsidenten glauben die USA die Zauberformel für gute Schulen gefunden zu haben: Testen! Jetzt regt sich Widerstand. Schulen bräuchten zuerst mehr Geld und motivierte Lehrer

von ULRIKE KLODE

Je länger Kinder in den USA in die Schule gehen, umso schlechter werden sie: In der vierten Klasse, wenn sie zehn Jahre alt sind, schneiden die US-Schüler in den Naturwissenschaften noch besser ab als der Durchschnitt der Schüler in 40 anderen Ländern. In der achten Klasse bringen sie im gleichen Fach nur noch durchschnittliche Leistungen. Und in der zwölften Klasse sind sie in „Science“ schließlich schlechter als 95 Prozent der Schüler in den anderen Ländern.

Dieses Ergebnis brachte die Timss (Third International Maths and Science Study) schon 1997; die Timss verglich weltweit die Schülerleistungen in 41 Ländern. Nordamerikas Eltern waren schockiert. Und die Industrie schrie auf, dass durch die schlechte Bildung der US-Schüler die Wettbewerbsfähigkeit der mächtigsten Volkswirtschaft der Welt gefährdet sei. Seitdem diskutiert die US-amerikanische Öffentlichkeit, wie es sein kann, dass der Nachwuchs in Südkorea oder in Singapur dem amerikanischen haushoch überlegen ist.

Die Konsequenzen der Timss-Tests sind auch in Europa längst angekommen. Vergleichende Untersuchungen über die Leistungen von Schülern sind derzeit schwer in Mode. Sogar die deutschen Bundesländer, die sich jahrelang gegen den Vergleich ihrer Schulsysteme wehrten, erlauben nun, dass ihre Schulen an Leistungstests teilnehmen.

In den USA aber war die Reaktion besonders heftig. In einer ersten Reaktion auf die Studie verkündete der damalige Präsident Bill Clinton: „Dieser Test zeigt uns den Weltstandard, den unsere Kinder für die neue Ära erreichen müssen“. Im 21. Jahrhundert ist das US-amerikanische Bildungssystem freilich immer noch das alte. Auch neuere Zahlen zeigen, dass etwas schief läuft in den Schulen: Fast drei Viertel der Zehnjährigen in den ärmsten Schulbezirken konnten weder lesen noch schreiben, 15 Prozent der 17-Jährigen waren Analphabeten. Zahlen aus dem Jahr 2000.

Da ist es kein Wunder, dass Bildung auch nach dem Präsidentschaftswahlkampf eines der Top-Themen der US-amerikanischen agenda geblieben ist – auf republikanischer wie auf demokratischer Seite. Der Mann mit dem Bildungsschlagwort „Rechenschaft“, George W. Bush, setzte sich durch. Sein Prinzip: Wettbewerb. Sein Plan: Vergleich der Qualität der Schulen durch jährliche bundesweite Schulleistungstests und staatlich finanzierte Bildungsgutscheine, mit denen ärmere Eltern ihre Kinder auch auf Privatschulen schicken können.

Bush konnte die Schultests durchsetzen. Auf sein eigentliches Lieblingsprojekt musste er allerdings verzichten: auf die Bildungsgutscheine. Mit diesen so genannten vouchers wollte er auf die staatlichen Schulen Druck machen und sie mit den Privatschulen um die Gunst der Eltern konkurrieren lassen. Die Eltern sollten mehr Einfluss auf die Ausbildung ihrer Kinder bekommen. Denn nur wer es sich leisten kann, hat in den USA freie Schulwahl – durch Umzug in die reichen Vorstädte, wo selbst die öffentlichen Schulen gut sind.

Natürlich würde es die betroffenen Eltern gerade in den ärmeren Großstadtbezirken freuen, wenn sie ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken könnten. Doch das Projekt scheiterte nicht allein am Machtverlust des Präsidenten im Senat. Auch viele US-Amerikaner sind von vouchers nicht begeistert: In Kalifornien und Michigan entschieden die Wähler im November gegen Gutscheinsysteme.

Verfassungsrechtliche Bedenken gibt es obendrein: In einem Modellversuch hatte die Stadt Cleveland Bildungsgutscheine im Wert von je 2.500 Dollar an 4.000 sozial benachteiligte Schüler ausgegeben, damit diese Privatschulen besuchen konnten. Die Kids nutzten die Chance – und wechselten zu 96 Prozent auf konfessionelle Schulen. Ein Gericht entschied daraufhin, dass dies der in der Verfassung vorgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche widerspreche.

Auch das andere Standbein der Bush-Reform, der jährliche Test, ist inzwischen umstritten. Zwar hat Bush hierfür die Unterstützung der demokratischen Abgeordneten gefunden. Und auch einige Bildungsexperten bescheinigen dem Entwurf, dass so sozial benachteiligte Schüler besser gefördert werden könnten und das Schulsystem transparenter werde. Doch es regt sich Widerstand von Seiten der Eltern: Im Mai, dem „Testmonat“, boykottierten Eltern und Schüler gemeinsam die Tests in verschiedenen Schulen im ganzen Land. Organisationen wie „Fairtest“ organisierten in zwölf Bundesstaaten Protestaktionen.

Die Eltern befürchten, dass die Lehrer ihre Schüler nur noch auf die standardisierten Tests trimmen könnten – schließlich kann vom Abschneiden ihrer Schüler der Job abhängen. Kreative Elemente im Unterricht würden dann einfach wegfallen. Das Erlernen sozialer Fähigkeiten wie Teamarbeit könnte noch unwichtiger werden – Konkurrenzdenken steht auch bisher schon an erster Stelle im amerikanischen System. Und auch die Mitarbeit der Schüler im Unterricht wäre jetzt nicht mehr wichtig, wenn nur noch die Testergebnisse zählen.

Jetzt, da Repräsentantenhaus und Senat über einen Kompromiss für das Testgesetz verhandeln, ist die Debatte umso lebhafter geworden. Zuletzt meldeten sich die Chefs der beiden größten Schulsysteme der USA zu Wort. Roy Romer aus Los Angeles sagte, in seinem Distrikt sei ein Schulwechsel nach schlechten Testergebnissen kein echtes Sanktionsmittel – denn alle Schulen in LA seien überlastet.

Und sein New Yorker Kollege Harald O. Levy war ein bisschen amüsiert über die Aufregung, die um die Tests gemacht werde. New York praktiziere die Schulvergleiche bereits seit längerem: Echte Besserungen hätten sich aber nur ergeben, wenn danach die Mittel für Schulen und Lehrergehälter erhöht worden seien.

Levy griff das Lieblingsschlagwort des Präsidenten auf: Rechenschaft. Wenn die Schulen sie ablegen müssten, dann sollte es auch die Politik tun – und die Ressourcen für bessere Schulen endlich bereitstellen.

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