: Differenzierte Innenansichten
Nur im Zeise: Amos Gitais Film „Kadosh“ über Ultra-Orthodoxe in Jerusalem ■ Von Christiane Müller-Lobeck
„Ob Thora, Bibel oder Koran: Den heiligen Büchern gilt es zu misstrauen. Seit je waren sie, nebst viel anderem, auch Fundgruben für Fundamentalisten und geistige Waffenarsenale für Terroristen aller Art.“ Dass es mit einer Rezensentin – wie hier in der Neuen Zürcher Zeitung – derart durchgehen würde, war sicherlich das Risiko, dem Amos Gitai, einer der bekanntesten Regisseure Israels, seinen Film Kadosh aussetzen musste.
Dabei ist der Film gerade ein starkes Statement gegen Urteile dieser Art. Ganz zu schweigen von den Verrenkungen der gerade Zitierten, um der kleinen religiösen Gemeinschaft der Haredim, in der Kadosh angesiedelt ist (die sie noch dazu mit den Chassidim verwechselt), mithin einer Gruppe von Juden, am Ende Rassismus vorwerfen zu können: Von dem Glauben, „dass es Menschen erster und zweiter Klasse gebe, also Männer und Frauen“ sei der Schritt „zur Klassifizierung von Sklaven, Untermenschen und schließlich Unmenschen sträflich leicht“.
Daran stimmt, dass Gitais Film sich von Beginn an um das hierarchische Gefälle zwichen Frauen und Männern dreht. Kadosh, was soviel wie „heilig“ heißt, spielt in Mea She'arim, dem Viertel der ult-ra-orthodoxen Gemeinde der Haredim in Jerusalem. Obwohl zahlenmäßig klein, übt die Gruppe in Israel erheblichen politischen Einfluss aus. Ihren Anhängern selbst ist es – so will es der religiöse Kodex – verboten, weltliche Ämter innezuhaben. Die Männer der Gemeinde sind Schriftgelehrte, sie widmen ihr Leben dem Studium des Talmud. Es sind die Frauen, die mit ihren Jobs für den Unterhalt der Familien sorgen – und selbstverständlich zudem die Hausarbeit erledigen.
An einer puren Denunziation dieser Spielart der jüdischen Orthodoxie ist Gitai nicht gelegen. Er hat sich für eine Binnenperspektive entschieden, der er gerade soviel Distanz zukommen lässt, wie sie einigen der Frauen der Gemeinschaft möglich ist. Seine Kritik gerät dadurch zugleich behutsam und eindringlich: Die Schwestern Rivka und Malka unterliegen je auf ihre Weise den strengen Gesetzen.
Rivka, die ältere, ist sei zehn Jahren mit Meir verheiratet. Doch obwohl die beiden sich lieben, werden sie vom Rabbiner, dem Vater Meirs, zur Trennung gezwungen. Denn die Ehe ist kinderlos. Da man der Gemeinde nicht von außen beitreten kann, sind kinderreiche Ehen jedoch die einzige Möglichkeit für eine Ausweitung des Einflusses der Haredim. Und so muss Meir sich eine zweite Frau nehmen.
Kadosh verschweigt nicht, dass die Aufrechterhaltung dieser Tradition mehr als religiösen Fanatismus erfordert. Die Gemeinde braucht Nachwuchs auch schlicht deshalb, um ökonomisch fortbestehen zu können: junge Frauen, die bereit sind, wieder einen Mann der Haredim zu heiraten und für den Lebensunterhalt von beiden zu sorgen.
Malka, die jüngere der beiden Schwestern, liebt einen jungen Soldaten. Doch auch in den Krieg darf ein Angehöriger der Gemeinde nicht ziehen – soviel zu den oben zitierten Waffenarsenalen – und so hat er sich als Heiratskandidat disqualifiziert. Malka wird mit einem Strenggläubigen zwangsverheiratet. Erst als sie mit ansehen muss, wie Rivka an den äußeren und – da sie selbst streng gläubig ist – inneren Zwängen zerbricht, ist die Jüngere zur Rebellion bereit.
Meital Barda, die Darstellerin der Malka, stammt selbst aus aus einer religiösen Familie. Ihre Schauspielausbildung konnte sie nur um den Preis einer Flucht von dort überhaupt beginnen. Die Intensität, mit der die Zwanzigjährige die Malka spielt, lässt diese zur heimlichen Hauptfigur des Films werden. Der Schwierigkeit, dass sein Film im hermetischen Milieu der Haredim angesiedelt ist und zugleich dessen Zwänge aufzeigen will, ist Gitai zudem dadurch begegnet, dass er mit der Koautorin Eliette Abecassis, selbst gläubige Jüdin, eine kenntnisreiche Innensicht, noch dazu aus der Perspektive einer Frau, hinzugezogen hat. Doch Gitai sitzt nicht dem Irrtum auf, nur größtmögliche Authentizität auf Seiten seiner Crew garantiere die nötige Nähe zum Gezeigten. So hat er für die Rolle des Rabbiners den arabisch-israelischen Schauspieler Youssef Abu Ward ausgesucht.
Auf der Seite der Bilder sorgte Gitais brillianter Kameramann, der Schweizer Renato Berta, der unter anderem mit Louis Malle, Jean-Luc Godard und Eric Rohmer gearbeitet hat, für die bemerkenswerte Mischung aus Nähe und Distanz: Kadosh ist fast durchweg aus der Halbtotalen gedreht. Hier vermag diese Einstellung jedoch zugleich eine geradezu klaustrophobische Enge zu erzeugen. Erst wenn die Zuschauer am Ende zusammen mit Malka von einem Hügel aus auf ganz Jerusalem blicken, stellt sich so etwas wie Erleichterung ein.
täglich, 19 Uhr, bis einschließlich Sonntag auch 15 Uhr, Zeise
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