: Systembedingte Katastrophen
Die Geschichte der Skandale im UKE ist nicht zufällig so lang ■ Von Sandra Wilsdorf
„Wie konnte das passieren?“ ist wohl die zentrale Frage zum Skandal in der Herzchirurgie des UKE. Wie konnte es passieren, dass ein nach einem Hirnschlag unter Bewegungs- und Konzentrationsstörungen leidender Arzt operiert? Und wie konnten Ärztekollegen, OP-Pfleger, oder Anästhesisten monatelang zusehen, bevor sie per anonymem Brief mitteilten, dass der Professor mit offenbar zitternden Händen operierte?
Diese Frage stellte im Wissenschaftsauschuss auch der hochschulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Roland Salchow. Professor Hermann Reichenspurner, neuer Leiter der Herzchirurgie des UKE, erklärt zunächst, dass immer zwei bis drei Ärzte bei einer Herzoperation am Tisch stünden. Salchow: „Und die Narkosesschwes-ter, die kann doch auch sehen, wenn die Hand zittert, oder?“ – „Ich weiß nicht, ob sie die dazu kriegen, Stellung zu nehmen“, sagte Reichenspurner und beantwortet damit viel mehr als diese Frage.
Denn in dem hierarchischen System von Abhängigkeiten, kann Rückgrat die eigene Karriere kos-ten. Schon 1995 erschien in der „Zeitschrift für Politische Psychologie“ ein Artikel von Alfred Fleissner, Mitglied des Wissenschaftlichen Personalrats des UKE, Thomas Kliche und Anna Katharina Dickhaus, der sich unter der Überschrift „Korruption im Krankenhaus“ überwiegend auf Beispiele aus dem UKE bezog.
Darin geht es beispielsweise um eine Doktorandin, die ihre Zwischenergebnisse arglos dem Chef aushändigt, der darüber einen Vortrag hält und anschließend bedauert, dass sie nun wohl noch einmal von vorne anfangen müsse. Ähnlich ging es einer Doktorandin, die kurz vor Abschluss ihrer experimentellen Phase von ihrem Doktorvater erfuhr, dass ihre Forschung wohl nicht für einen Abschluss reiche und sie sich nach einem neuen Thema umsehen solle. Kurz danach erfährt sie, dass ihre Ergebnisse dem Sohn des Professors zur Promotion verhalfen.
Die drei Wissenschaftler sehen eine der Ursachen für Krankenhaus-Skandale in der „Machtkonzentration beim Leitungspersonal: Unter seiner Tripelhierarchie aus wissenschaftlichen, medizinischen und administrativen Kompetenzen droht jedweder Konflikt auszuarten; Vorgesetzte verfügen über zahlreiche Sanktionen, die mit dem ursprünglichen Konflikt nichts zu tun haben, und praktisch jede Maßnahme lässt sich durch Diskurswechsel rechtfertigen. Da zudem die Arbeit selbst mit hohen psychosozialen Belastungen verbunden ist, werden Konflikte möglichst vermieden.“
In einer Uniklinik ist die Lage noch verschärft: Ein hoher Anteil befristet Beschäftigter konzentriert Wissen bei Abteilungs- und Klinikleitungen und schafft Abhängigkeiten der Ärzte von ihren Chefs. Außerdem erschweren die große Zahl der Mitarbeiter und ihre Fluktuation Kommunikation wie solidarischen Zusammenschluss.
Zudem ist die Fähigkeit zur Selbstkritik zuweilen beschränkt. So schrieb beispielsweise der momentan beurlaubte Ärztliche Direktor Heinz-Peter Leichtweiß 1993 an die Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt und Marion Gräfin Dönhoff einen Brief, in dem er sich darüber sorgte, dass ein Zeit-Dossier zum Strahlenskandal des UKE dem Ruf des Krankenhauses schadet, „und dadurch das Vertrauen der Patienten zerstört wird“.
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