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Das Jenseits von Vegesack

■ Zwischen Apfelbäumchen, Rakete und der Aufforderung zum Sündenfall: KuBa und Kunstverein Nord bescheren Vegesack Kunst zum Thema Paradies

Der Weg ins Paradies führt über die Kirchheide in 28757 Bremen-Vegesack. Die Bremer Künstlerin Birgit Wingrat hat in eine Grünfläche eine Glasscheibe eingelassen. Darunter ist das Bild eines Tunnels zu sehen, der wiederum zu einem Ziel führt: zur Kirche am Rand des Platzes. Trotz Austrittswelle und Mitgliederschwund weiß eben hierzulande immer noch allein die Kirche, wie man hinkommt, ins Paradies.

Also zitiert auch Heidi Rühlmann aus der Bibel: „Gott schuf einen Garten in Eden und setzte den Menschen hinein“, sagt sie und übersetzt, dass das Paradies kein Garten Eden sei, sondern ein Garten in der Wüste Eden. Rühlmann ist keine Pastorin, und doch hat sie mit Vegesack, der Bibel und dem Paradies zu tun: Im Auftrag des Kunstvereins Nord und des Kulturbahnhofs Vegesack (KuBa) hat sie dem Stadtteil zusammen mit Hans König, dem künstlerischen Leiter des KuBa, einen Parcours durch die Wüste ins oder aus dem Paradies beschert.

Sage und schreibe 140 KünstlerInnen und Gruppen aus Deutschland, Schweden, Österreich, der Schweiz, Italien und den Niederlanden reagierten auf eine überregionale Ausschreibung des KuBa und des Kunstvereins. Sie sollten sich Gedanken zum Thema Paradies machen und mit ihren Mitteln an fünf zuvor ausgewählten Orten laut Jury-Text „ein i-Tüpfelchen oder ein kleines Ausrufezeichen hinzufügen“. Neben dem Kirch- und dem Sedanplatz gehören eine Wohnstraße, eine Freifläche am alten Hafen und der Eingang zum Gelände der ehemaligen Vulkan-Werft dazu.

Dort hat der Berliner Jörg Bodemann unter dem Titel „Gartenarbeit“ das größte Objekt aufgebaut. Eine sechs Meter hohe, nachts leuchtende Rakete steht an dem früher so bedeutenden Ort. Neben dem technischen Symbol, das als größere Ausgabe auch den Space Park zieren soll, wächst tatsächlich ein Apfelbaum. Und Luther sprach: „Selbst wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Der Vulkan lebt weiter – zumindest als antiker Gott des Feuers und der Metallverarbeitung ist „er“ tätig.

Auch andere der fünf von einer Jury ausgewählten KünstlerInnen beziehen sich auf bekannte Metaphern: Die Kölnerin Petra Weifenbach hat am Lindenkarree direkt am alten Hafen einen Tisch mit Äpfeln aufgestellt. Sie rechnet damit, dass vorbeigehende Menschen zum Apfel greifen und so den „Sündenfall“ wiederholen. Und wenn schon kein ewiges Leben dabei herausspringt, dann vielleicht doch die Erkenntnis, dass es zwischen öden Plätzen, Spielsalons, Geschäften und maritimer Folklore auch noch etwas anderes geben kann.

Hans König vom Kulturbahnhof hält das Thema Paradies nämlich für ein Reizthema. Es geht ihm um positive Visionen, ohne dass sie langweilig sind. Neben dem von ihm mit initiierten künstlerischen „Parcours de Paradis“ schreibt und inszeniert er selbst ein Theaterstück zum Thema: Sartre'esk treffen sich in diesem Schauspiel sechs Verstorbene, die vor ihrem Dahinscheiden nicht an ein Leben nach dem Tod geglaubt haben, im Paradies wieder. Für Atheisten ist das einer der größten anzunehmenden Unfälle: etwas nicht zu glauben und es dann doch erleben zu müssen. Das Stück namens „Willkommen im Paradies“ wird am 22. August im KuBa aufgeführt.

Im November zeigen Gefangene aus der Bildhauerwerkstatt der JVA Oslebshausen in einer Ausstellung, wie sie sich das Paradies vorstellen. Schon zuvor, am 17. August um 20 Uhr, präsentiert die Chorwerkstatt der Kulturwerkstatt Westend ein Programm „So klingt das Paradies“. Außerdem gibt es Exkursionen in paradiesähnliche Naturlandschaften vor den Toren Vegesacks. Schließlich hält Pastor Volker Keller in der Vegesacker Kirche an der Kirchheide eine Predigt zum Thema Paradies (12. August, 10 Uhr) und wirkt an einer Diskussion über christliche und buddhistische Paradiesvorstellungen mit (16. August, 19.30 Uhr, Kaufhaus Kramer am Sedanplatz). ck

„Parcours de Paradis“ bis zum 25. August zwischen altem Hafen und Vulkan-Gelände. Eröffnung am Sonntag, 29. Juli, 15 Uhr im KuBa am Vegesacker Bahnhof. Führungen am 4., 11., 18. und 25. August, 15 Uhr. Infos über das Begleitprogramm unter 65 00 60.

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