tour de france: Naht die Presse, geht Armstrong aus dem Sattel
Wankende Himmelfahrt
„Ihr habt euren Sport, so wie ich meinen habe, und ich respektiere das.“ Lance Armstrong nimmt die unermüdlichen Versuche der Journalisten, ihm Unredlichkeit nachzuweisen, gelassen. Seit zwei Jahren, seinem ersten Tour-Sieg, geht das so. Damals hatte ihm ein Reporter der Le Monde die unerlaubte Einnahme von Kortison unterstellt.
In diesem Jahr ist es die Verbindung zum dubiosen Sportmediziner Michele Ferrari, die die Legende Armstrong, das allzu schöne Märchen von der Auferstehung vom Totenbett und der Himmelfahrt zu den höchsten Gipfeln des Radsports ins Wanken bringen soll. Doch Armstrong pariert jede Attacke mit Bravour. Zum Duell mit dem Kolumnisten der Londoner Sunday Times, David Walsh, war die Pressekonferenz geraten. Walsh hatte die Verbindung von Armstrong zu Ferrari aufgedeckt. Armstrong trug einen klaren Punktsieg davon. „Unantastbar, wie auf der Straße“, musste sogar die Armstrong-kritische Sportzeitung L’Equipe danach eingestehen. „Ich glaube, dass ich am Ende 95 Prozent des Pressesaals auf meiner Seite hatte“, resümierte der Mann aus Texas zufrieden.
Walsh als einen Schreiber hinzustellen, der seine Texte mit Vagheiten und Spekulationen unterfüttere, schien Armstrong zu gelingen. Das Misstrauen gegen ihn auszuräumen indes nicht. Denn die Tatsache, dass er das verbale Gefecht mit der Presse als Sport begreift und dabei ebenso gut aussieht wie im Sattel, spricht nicht für seine Offenheit.
Dass er der Chef in der US Postal Mannschaft ist, die nach seiner Genesung um ihn herum aufgebaut wurde, und nicht etwa das Management oder der Sportliche Leiter, ist freilich ein offenes Geheimnis. Zu wichtig ist Armstrong sein Erfolg, als dass er Entscheidungen delegiert. Als sich Armstrong 1998 in den Kopf setzte, die Tour de France zu gewinnen, sorgte er dafür, dass der Belgier Johan Bruyneel als Sportlicher Leiter angeheuert wurde. Bruyneel, selbst Etappensieger bei der Tour, hatte just seine aktive Karriere beendet. Von dem Gedanken, die Tour zu gewinnen, war er genauso besessen. „Johan und ich sind ein Team“, sagt Armstrong. „Wir treffen alle Entscheidungen gemeinsam.“ Und die sind für die anderen Mannschaftsmitglieder nicht immer bequem. „Ich fordere sehr viel von meinen Leuten, so wie ich auch von mir viel verlange. Aber das muss ich auch, wenn ich aus mittelmäßigen Fahrern erstklassige Helfer machen möchte.“
Als „autoritär“ möchte er seinen Führungsstil nicht verstanden wissen. „Ich nehme Anteil, ich trage Sorge und Verantwortung.“ Was er damit meint, war beim Mannschaftszeitfahren zu sehen. Als sein wichtigster Helfer Roberto Heras stürzte, hielt er seine Formation zum Warten an und nahm den Verlust wertvoller Sekunden in kauf: „Ich brauchte Roberto für die Berge. Und wenn man einen Mannschaftskameraden abhängt und ihn alleine hinterherfahren lässt, ist das für die Moral nicht gut.“ Ähnlich verfuhr er mit José Luis Rubiera, als dieser mit mit Magenverstimmung an den Start ging. Alles wurde daran gesetzt, dass Rubiera die Etappe übersteht.
Armstrong erscheint als ein Herrscher, dessen Überlegenheit Zähne knirschend anerkannt wird. Geliebt wird er indes nicht. Nie zuvor wurde ein Träger des gelben Trikots ausgepfiffen. Armstrong musste sich gleich bei drei Bergetappen den Unmut des Publikums gefallen lassen. „Der Respekt für andere fehlt ihm, die Bescheidenheit“, versuchte der Träger des Bergtrikots und der Liebling der Franzosen, Laurent Jalabert, das Phänomen zu erklären.
Das Problem hat Armstrong erkannt. „In Frankreich mag man den Zweiten lieber als den Champion“, sagte er schon vor der Tour. Mehr Autogramme gab er heuer, stand der Presse öfters zur Verfügung. Seinen schwersten Gegner Jan Ullrich lobte er in den höchsten Tönen. Als „einzigen Fahrer, den ich fürchte“, bezeichnete er den Deutschen und fügte an, dass er Ullrich sehr möge. Doch auch solche Äußerungen werden ihm als Berechnung ausgelegt. Vielleicht hat er einmal zu viel geblufft. Armstrong wird es verschmerzen können. Respekt hat er sich verdient.
SEBASTIAN MOLL, MONTLUÇON
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen