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Die Unüberhörbaren

Die Bollywood Brass Band spielt indische Filmmusik-Hits und ist die einzige Hochzeitskapelle für Londons indische Community. Doch sie besteht ganz überwiegend aus gebürtigen Engländern

von CHRISTIAN RATH

Beim Essen scheiden sich die Geschmäcker. Die englischstämmigen Bläser der Bollywood Brass Band gehen nach der Show gerne indisch speisen, während die asienstämmigen Trommler eher McDonald’s bevorzugen. „Die bekommen zu Hause einfach das bessere Chicken Masala“, meint der Saxofonist Mark Allan dazu mit einem Achselzucken.

Die Bollywood Brass Band kommt aus London und spielt vor allem indische Filmmusik-Hits, die sie in schmissige Blasmusikarrangements umsetzt. Dazu tragen sie schwarz-rote Fantasiekostüme und vollführen Bhangra-Tanzschritte. Das sieht gut aus – auf der Bühne und erst recht bei Paraden auf der Straße. Im letzten Sommer waren sie damit der Überraschungserfolg beim Festival in Rudolstadt.

Seinen Anfang verdankt das Projekt der englischen Friedensbewegung. In Großbritanien brachte die Campaign for Nuclear Disarmement, kurz CND, Anfang der Achtziger zehntausende gegen die Stationierung neuer Cruise Missiles auf die Straße. Mit dabei war auch die Fall Out Marching Band, ein Kollektiv linker Blasmusiker, das deutschen Projekten wie der IG Blech aus Berlin oder Dicke Luft aus Köln entsprach.

Später taten sich sieben Musiker aus dem vierzigköpfigen Bläsertrupp zusammen, um eine professionelle und eher unpolitische Streetband zu gründen, die man für Umzüge aller Art buchen konnte. Anfang der Neunzigerjahre kam dann die Anfrage, ob die Band nicht bei den Umzügen der Londoner Hindus und Sikhs zum indischen Lichterfest Diwali am 5. November spielen könne. Da traf es sich gut, dass Mark Allan auch das Londoner „International Festival of Street Music“ organisierte und dazu die indische Shyam Brass Band aus Jabalpur einladen konnte. Allan arrangierte gemeinsame Proben der beiden Blaskapellen, bei der die Engländer versuchten, so viel wie möglich von den Indern zu lernen. Mit Erfolg. Als Diwali Band nahm man noch im gleichen Jahr an fünf Umzügen teil.

Zur Bollywood Brass Band wurde man erst durch die Zusammenarbeit mit der Dhol Foundation von Johnny Kalsi. Die Dhol-Drum ist eine große röhrenförmige und leicht bauchige Trommel, die von beiden Seiten geschlagen wird. Anders als die Tabla, die aus der klassischen indischen Musik kommt, ist die Dhol-Drum Teil der indischen Volksmusik, vor allem aber das Erkennungszeichen der Bhangra-Musik aus dem Bundesstaat Punjab. Johnny Kalsi spielte schon seit Jahren in der britischen Bhangra-Band Alaap und hatte Lust auf Neues. Also stieg er bei der Bollywood Brass Band ein und ergänzte deren bisher eher latin-geprägte Perkussion mit seiner krachenden Dhol-Drum.

Inzwischen ist Johnny Kalsi einer der meistbeschäftigsten Weltmusiker Englands und mischt unter anderem bei Transglobal Underground, Fun-da-men-tal und dem Afro-Celt Sound System mit. Gut, dass er inzwischen eine Stiftung gegründet hat, die Dhol-Foundation, in deren Rahmen Londoner Jugendliche das Dhol-Trommeln lernen und auch öffentlich auftreten können. Aus diesem Talentschuppen versorgt sich nun auch die Bollywood Brass Band mit jungen Dhol-Trommlern.

In ihrer aktuellen Besetzung besteht die Bollywood Brass Band aus acht Bläsern und drei Perkussionisten. Mark Allan bringt die Mischung der Band auf folgende Formel: „Bollywood meets Brass and Bhangra“ – will sagen, die Hindi-Filmhits aus der indischen Filmsstadt Bombay („Bollywood“) werden für Bläser arrangiert und mit Zutaten der indischen Bhangra-Musik, insbesondere natürlich der Dhol-Drum, bereichert.

Für die Arrangements auf der ersten CD zeichnen dabei vor allem zwei Frauen verantwortlich: Trompeterin Kay Charlton und Saxofonistin Sarha Moore. Als Zugabe enthält das Album auch noch zwei Dancefloor-geeignete Remixes, mit der die Band an aktuelle Clubtrends anzudocken versucht – und so vielleicht vergessen machen will, dass ihre Mitglieder die 40 meist überschritten haben.

Etwas gelitten hat in letzter Zeit die Tätigkeit der Band als „einzige indische Hochzeitskapelle Englands“. An Hochzeiten hatte man ursprünglich auch gar nicht gedacht, als die Band gegründet wurde. Dann aber kamen über die Mitglieder der Dhol-Foundation immer wieder Anfragen für traditionelle indische Hochzeiten. Dabei holt die Band morgens den Bräutigam zu Hause ab und zieht anschließend mit der gesamten Festgesellschaft musizierend zum Ort der Hochzeit. Dass die Hochzeitskapelle vor allem aus weißen Engländern besteht, hat dabei noch niemand gestört. Man freut sich vielmehr, dass sie die richtige Musik im Repertoire haben. Und besser als eine schottische Pipe Band – das ist oft die Alternative – passt die Bollywood Brass Band natürlich allemal.

Erstaunlich ist es auf den ersten Blick zwar schon, dass sich unter den indischen Immigranten noch keine eigenen Hochzeitskapellen gebildet haben, zumal in Indien seit der britischen Kolonialzeit eine äußerste rege Blasmusiktradition existiert. Allerdings gehören die Musiker häufig zur Kaste der Unberührbaren, die traditionell nur selten auswandern – schon weil ihnen dafür die Mittel fehlen.

Auch die Musiker der Bollywood Brass Band werden oft gefragt, warum denn nur die Dhol-Trommler aus der asiatischen Community Englands stammen. Aber Versuche der Band, in London Blasmusiker vom indischen Subkontinent zu finden, hatten bisher keinen Erfolg. „Die indisch-englischen Jugendlichen lernen eben Gitarre, Schlagzeug oder Keyboard zu spielen, aber nicht Trompete und Saxofon.“ Die Bandmitglieder haben daher Wert darauf gelegt, dass auf dem Cover ihrer ersten CD ein großes Gruppenbild platziert wurde. „Die Leute sollen ruhig sehen, wer wir sind“, betont Mark Allan. „Wir wollen nicht so tun, als stammten wir alle ursprünglich aus Indien.“

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