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: Die Zeitschrift „SportZeit“ stemmt Altlasten

Wider die Verharmlosung

Wo in Deutschland die historische Zunft die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit jahrzehntelang hintanstellte, hinkte die Unterabteilung Sportgeschichte erst recht nach. Erst seit wenigen Jahren werden etwa die Lebensläufe von Carl Diem oder Karl Ritter von Halt problematisiert, die als hochrangige NS-Funktionsträger in der Bundesrepublik bruchlos ihre sportpolitischen Karrieren fortsetzen konnten.

Auch diesem Nachholbedarf abzuhelfen, hat sich die Zeitschrift SportZeit zur Aufgabe gemacht. Die Dritteljahresschrift, herausgegeben von den Sporthistorikern Thomas Alkenmeyer, Wolfgang Buss, Sven Güldenpfenning und Lorenz Pfeiffer, versteht sich als Ersatz für die im Vorjahr eingestellte Zeitschrift „Sozial- und Zeitgeschichte des Sports“ und will „die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Sports im historischen Prozess erforschen“. Neben dem üblichen Apparat akademischer Periodika – Besprechungen, Tagungsberichte, Mitteilungen – umreißen längere Beiträge je einen Themenschwerpunkt; in Heft eins lautet er programmatisch „Biografie und Nationalsozialismus“.

Auf dem Titelbild ist ein Bild von George Grosz zu sehen, das den jungen Max Schmeling zeigt. Hans Joachim Teichler ordnet ihn in seinem Beitrag „Max Schmeling – Der Jahrhundertsportler im Dritten Reich“ zwar als „vorwiegend passives Objekt der nationalsozialistischen Propaganda“ ein, stellt der bis heute ungebrochen hohen Popularität des Boxers aber eine detaillierte Dokumentation der Verflechtung entgegen, die Schmeling samt seiner sportlichen Erfolge und später als „Soldat des Führers“ mit dem Regime verband.

An der Mär vom ganz und gar unpolitischen Sport arbeitet sich auch Wolfgang Buss ab. In dem Beitrag „Die Ab- und Ausgrenzungspolitik der westdeutschen Sportführung gegenüber der DDR in den frühen 50er-Jahren“ erläutert er das Postulat der Politikfreiheit als Selbstschutzstrategie der ehemaligen NS-Funktionäre: Wer nach 1945 die Autonomie des Sports behauptete, dementierte zugleich jeden Berührungspunkt mit der politischen Führung des Dritten Reichs. Die Quellen jedoch zeigen, dass der Sport nach wie vor „von übergeordneten, allgemeinpolitischen Rahmenbedingungen und Handlungsstrategien der Regierung geprägt“ war. Buss belegt durch Briefe, wie eng die Abstimmung zwischen westdeutschen Sportfunktionären und staatlichen Institutionen bis hoch zu Kanzler Adenauer war, wenn es darum ging, beim IOC die Anerkennung des NOK der DDR zu hintertreiben oder den Antikommunismus als Maxime auf der Ebene innerdeutscher Sportkontakte durchzudrücken.

Bisweilen sind die Beiträge arg akademisch geraten, reichlich Fußnoten und manch dröge Formalisierung („Die drei Untersuchungshypothesen konnten anhand des Quellenmaterials verifiziert werden“) erschweren trotz klarer Ergebnisse das Lesen.

Hubert Dwertmanns Untersuchung zum Titelthema etwa macht anhand zweier Biografien über Karl Ritter von Halt (ehemaliger Reichssportführer, später westdeutscher NOK-Präsident) und Wilhelm Henze (einst strammer SA-Aktivist, später Gründer des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte Hoya) deutliche Defizite bei den jeweiligen Autoren aus, die den „Verdrängungsleistungen, Verharmlosungen und Lügen aus den Verdrängungszirkeln der Nazi-Sportfunktionäre“ zu unkritisch auf den Leim gingen. Dwertmann verstellt seine genaue Analyse aber durch ein Übermaß an geschichtswissenschaftlicher Methodendiskussion.

Gewidmet ist die SportZeit Hajo Bernett, dem Pionier der sporthistorischen Aufarbeitung der NS-Zeit. Folgerichtig wird auch die nächste Ausgabe ein Thema in dessen aufklärerischer Tradition haben: Heft zwei erscheint voraussichtlich im September und widmet sich dem Schwerpunkt „Jüdischer Sport“. MALTE OBERSCHELP

„SportZeit. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft. Heft 1: Biographie und Nationalsozialismus“. Verlag Die Werkstatt, 139 Seiten, 19 DM