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Hilfsargument Kioto

Zugegeben: Das Klimaschutzprotokoll reicht nicht aus. Aber es ist ausbaufähig. Dervölkerrechtliche Vertrag wird Eigendynamik entfalten. Eine Antwort auf Hermann Scheer

Bonn war auch ein Signal an die Globalisierungskritiker, die der internationalen Politik wenig zutrauen

In den letzten Wochen hat mein Abgeordnetenkollege Hermann Scheer mehrfach vehement Position gegen das Klimaschutzprotokoll von Kioto bezogen, zuletzt in einem Debattenbeitrag für die taz (vom 26. 7.) mit dem Titel „Totschlagargument Kioto. Das Klimaprotokoll ist eine Kapitulation“.

Vor dem Bonner Klimagipfel sprach Hermann Scheer von „absurdem Theater“, das nicht gelingen könne, da es die Quadratur des Kreises versuche: „Die Weltklimakonferenzen wollen das Weltklima retten und die Verursacher gleichzeitig schonen.“ Mithin bleibe nur eine Konsequenz, die nunmehr – „Präsident Bush sei Dank“ – unabweisbar sei: „Die bisherige Weltklimapolitik hat sich erledigt.“ An deren Stelle sollten Initiativen zur Schaffung einer „solaren Weltwirtschaft“ treten.

Nachdem sich die Vertragsstaaten mit Ausnahme der USA nunmehr in Bonn darauf geeinigt haben, das Kioto-Protokoll, wenn auch abgeschwächt, in Kraft zu setzen, hat Hermann Scheer noch einmal nachgelegt: Das Protokoll sei eine Kapitulation vor den tatsächlichen Klimagefahren und schade den erneuerbaren Energien. Niemand werde in Zukunft mehr tun, als die schwachbrüstigen Ziele des Kioto-Protokolls es vorschreiben. Summa summarum: „Das Resultat ist, von 1990 bis 2012 gerechnet, dass zwei Jahrzehnte für wirkliche Lösungen verspielt wurden.“

Wenngleich ich einzelne Argumente meines politischen Weggefährten Hermann Scheer in dieser Sache anerkenne, so halte ich sein Plädoyer doch insgesamt für unpolitisch und kontraproduktiv. Selbst den erneuerbaren Energien dient er mit dieser Haltung nicht.

Zur Sache: Es ist richtig, dass die Ziele des Kioto-Protokolls weit davon entfernt sind, den Klimawandel zu stoppen. Bis Mitte des Jahrhunderts müsste dafür der Ausstoß an Klimagasen weltweit halbiert werden. Mit den jetzt getroffenen Regelungen führt das Protokoll bis 2012 dazu, dass die Industriestaaten ihre Emissionen nur um knapp 2 Prozent gegenüber 1990 absenken. Das ist völlig unzureichend.

Deutlich zu trennen von der einstweilen schwachen Substanz des Protokolls ist aber seine völkerrechtliche Bedeutung für den zukünftigen Klimaschutzprozess. Wenn es 2002 in Kraft tritt, wird das Kioto-Protokoll einen festen Rahmen unter dem Dach der Vereinten Nationen vorgeben. Dort werden die Vertragsstaaten – unter den kritischen Augen von NGOs und Medien – jährlich zusammentreffen, Rechenschaft ablegen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel, seine Kosten und effiziente Klimaschutztechniken verarbeiten müssen. Genau in diesem Verfahren liegt die Chance, die Reduktionsziele schrittweise zu verschärfen.

Hierzu ein Vergleich: Als 1987 das Montrealer Protokoll über ozonschädigende Substanzen verabschiedet wurde, waren die Minderungsziele für FCKW und Halone so schwach, dass die Presse von einer „Sterbehilfe für die Ozonschicht“ sprach. In den Folgejahren allerdings verdichteten sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse; es gab Berichte über zunehmende Fälle von Hautkrebs in Australien; die NGOs machten weltweit Druck; plötzlich waren unschädliche Ersatzstoffe verfügbar; und einzelne Staaten wie Deutschland übernahmen eine Vorreiterrolle. Innerhalb weniger Jahre gelang es dann, die ozonschädigenden Substanzen durch das Montrealer Protokoll weitgehend zu verbannen. Heute gilt das Vertragswerk als Erfolgsgeschichte.

Sicher lässt sich das Beispiel nicht eins zu eins auf das Klimaproblem übertragen. Aber es gibt Parallelen: Die wissenschaftlichen Fakten lassen kaum noch Zweifel am Treibhauseffekt zu; Wetterextreme häufen sich und ängstigen die Menschen; die Versicherungswirtschaft warnt vor unkalkulierbaren Risiken; die ökologischen und ökonomischen Vorteile von Einspar-, Effizienz- und Solartechnik wird immer deutlicher; einzelne Staaten und Unternehmen bemühen sich, glaubwürdig zu handeln. Es scheint, als gäbe es so etwas wie soziales Lernen tatsächlich.

Warum sollte man als Ökologe in dieser Situation empfehlen, das Kioto-Protokoll auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen? Ohne eine überzeugende Alternative zu haben, wäre das ziemlich leichtfertig. Oder glaubt im Ernst jemand, dass die Staatenwelt, wäre Bonn gescheitert, frohen Mutes ausgerufen hätte: Okay, Kioto haben wir versenkt, jetzt versuchen wir’s mal mit der solaren Weltwirtschaft? Die Konfliktlage wäre exakt die gleiche, wollte man Ziele für den Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Energieerzeugung vereinbaren – nur müsste man wieder von vorne anfangen, hätte nur einen Teilbereich geregelt und zehn Jahre verloren. Lässt sich ernsthaft behaupten, das wäre gut für die Sonnenenergie?

Auch die These, nationale Vorreiterrollen beim Klimaschutz seien wegen Kioto kaum noch möglich, kann nicht überzeugen. Es hindert uns doch niemand daran, mehr zu tun, als das Protokoll von uns verlangt. Wir werden in Zukunft vielmehr einen Klimaschutz der zwei Geschwindigkeiten erleben. Auf der Langsamfahrspur richtet man sich nach der Mindestgeschwindigkeit des Kioto-Protokolls; auf der Schnellfahrspur werden sich all diejenigen bewegen, die die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes sehen, die auf Energieeinsparung, effiziente Energieerzeugung, Solarenergie, den ökologischen Landbau und die Kreislaufwirtschaft setzen. Aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften wollen viele auf der Schnellspur mitfahren. Dann wird der BDI am Wegesrand stehen und ein Tempolimit fordern. Na und!

Bleiben in Sachen Kioto drei Argumente, die bei Hermann Scheer nicht auftauchen, aber allgemeinpolitisch von großer Bedeutung sind:

Unter den Augen der NGOs und Medien müssen die Vertragsstaaten jährlich Rechenschaft ablegen

Europa hat in Bonn mit einer Stimme gesprochen. In Ansätzen wurde eine gemeinsame europäische Identität erkennbar, in der Ökologie, Zukunftsverantwortung und Nord-Süd-Gerechtigkeit wichtige Elemente sind. Die Vorreiterolle der EU hat überzeugt und andere zur Kooperation bewegt. Damit hatte die Bush-Administration nicht gerechnet.

Bonn war auch ein Signal an die Globalisierungskritiker, die der internationalen Politik nur noch wenig zutrauen. Man muss die Ergebnisse nicht als „Sternstunde des Multilateralismus“ bezeichnen, wie der Sprecher der Entwicklungsländer es getan hat. Aber es ist doch offenkundig, dass das Kioto-Protokoll ein – wenn auch zaghafter – Versuch ist, dem Selbstlauf der globalen Ökonomie ein politisches Regelwerk an die Seite zu stellen.

In vielen Ländern der Erde, etwa in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion oder in den meisten Entwicklungsländern, steht Klimaschutz bislang nicht wirklich auf der Tagesordnung. Das wird sich mit dem In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ändern. Für die Bekämpfung der Energieverschwendung oder die Nutzung der Sonnenenergie wird Kioto dort in Zukunft zu einem Hilfsargument – und ganz sicher nicht zu einem Totschlagargument. REINHARD LOSKE

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