: Wut, Trauer, Widerstand
Am Samstag protestierten erneut rund 1.000 Menschen gegen den Polizeieinsatz von Genua. Die Bundesregierung wird als mit verantwortlich bezeichnet. Die Polizei ist offenbar unsicher, ob sie eine neue linke Bewegung fürchten muss
von DIRK HEMPEL
Nach dem stark kritisierten Einsatz der italienischen Polizei gegen Anti-Globalisierungs-Demonstranten in Genua entwicklen sich die Slogans „smash capitalism“ und „Polizisten sind Mörder“ offenbar zu den neuen Mobilisierungsschwerpunkten der linken Szene. Rund 1.000 Menschen beteiligten sich am Samstag an einer erneuten Demonstration. Sie forderten die Freilassung aller noch in Italien inhaftierten Globalisierungskritiker, die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission und machten die Regierung von Silvio Berlusconi für die Vorfälle verantwortlich.
An dem Zug beteiligte sich auch Bodo Zeuner, Politikprofessor an der Freien Universität. In einem Redebeitrag bezeichnete er die italienischen Polizisten als „Verbrecherbande, die gegen Andersdenkende eingesetzt wurde“. Seine Tochter hatte den Einsatz in Genua miterlebt und von Prügelorgien gegen blutüberströmte und am Boden liegende Demonstranten berichtet. Und der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele sagte vor den Demonstranten, das Verhalten der italienischen Polizei erinnere an „Lateinamerika zu Zeiten der Militärdiktaturen“.
Der grüne Politiker stieß allerdings nicht nur auf Gegenliebe bei den versammelten Globalisierungsgegnern. Eine Sprecherin der SPD-Nachwuchsorganisation wurde sogar ausgepfiffen, sobald sie das Wort ergriff. Für die linke Szene trägt die rot-grüne Bundesregierung aufgrund der Ausreiseverbote im Vorfeld des G-8-Gipfels Mitschuld an der „Kriminalisierung der antikapitalistischen Bewegung“. So forderten Demonstranten auf Transparenten: „Verwandelt Wut und Trauer in Widerstand“.
Die Polizei scheint sich noch nicht sicher zu sein, ob jetzt eine Radikalisierung zu erwarten ist und wie sie auf die Proteste reagieren soll. Einerseits zeigte sie am Kreuzberger Oranienplatz, dem Auftaktort der Demonstration, massiv Präsenz und führte intensive Vorkontrollen durch. „Die haben sogar meine Speckröllchen abgetastet“, sagte eine jugendliche Demonstrantin. „So intensiv bin ich seit Jahren nicht mehr durchsucht worden.“ Andererseits schritten die Beamten gegen das Abschießen von Leuchtraketen, etwa auf das Bundesfinanzministerium, nicht ein. Offenbar, um damit einer Eskalation vorzubeugen. Auch die von den aufgebrachten Demonstranten gerufene Parole „Policia – Assassini“ (Polizei – Mörder) wurde geduldet. Dabei hatten die Ordnungshüter zuvor gefordert, den italienischen Slogan, der bisher auf jeder linken Demonstration nach den tödlichen Polizei-Schüssen auf den 23-jährigen Italiener Carlo Giuliani zu hören war, nicht mehr zu rufen.
In Genua sitzen Angaben des Auswärtigen Amtes zufolge noch 21 Deutsche in Untersuchungshaft. Von den insgesamt 288 dort Festgenommenen wurden nach Ermittlungen der italienischen Staatsanwaltschaft mindestens 76 Personen zu Unrecht verhaftet, berichtete die Tageszeitung La Repubblica.
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