Gut gekleidet im Gänsemarsch

Beim dritten „Walk of Fashion“ zogen Samstag rund 90 Models durch Berlins schicke Mitte. Einige Designer halten Distanz zu diesem „Straßenfaschingsfest“. Noch hat die Modehauptstadt der Zwanzigerjahre ihr einstiges Flair nicht wiedergewonnen

von SILKE KATENKAMP

Yoshiharu Ito lehnt lässig am Türrahmen vor seinem Geschäft in der Auguststraße und raucht. Durch die dunklen Gläser seiner Brille schaut der Modedesigner lächelnd auf die Szene, die sich vor seinem Laden abspielt. Zahlreiche Schaulustige haben sich auf den Bürgersteigen verteilt, säumen den seltsamen Zug, der sich durch die Spandauer Vorstadt bewegt – das ansonsten von Galerien, Designerläden und Kneipen geprägte Viertel in Berlin-Mitte am Hackeschen Markt.

Von einer Gruppe weiß gekleideter Trommler angeführt, marschieren am Samstagabend rund 90 Models, artig hintereinander aufgereiht, über den heißen Asphalt, der von der brennenden Sonne in der Hitze flimmert. Anwohner lehnen sich neugierig aus ihren Fenstern. Zusammen mit den vor den Cafés Sitzenden verleihen sie dem ganzen einen mediterranen Flair. Der als „längster Laufsteg Berlins“ groß angekündigte „Walk of Fashion“ hat begonnen. Zum dritten Mal verwandeln Berliner Modedesigner die Straßen des In-Bezirks in einen Laufsteg, zeigen, was sie in der letzten Zeit entwickelt und realisiert haben.

Die futuristischen Gewänder der Designerin Harryet Lang, die alle gleich aussehen, fallen besonders auf. Ihre kuttenähnlichen Kreationen in Schwarz oder Rot lassen an Asien denken. Ihre Träger erinnern an „tibetanische Mönche“, wie ein Zuschauer bemerkt.

Janet Knaacks geradlinige, dezente Kreationen überzeugen dagegen durch ihre Tragbarkeit. „Das würde ich mir auch anziehen“, sagt eine junge Zuschauerin. Der Rest haut sie allerdings nicht um. „Für Berlin habe ich mir ausgefallenere Klamotten gewünscht.“ Der Meinung ist auch die 26-jährige Modedesignstudentin Sarah. „Ziemlich eintönig und farblos“, urteilt sie mit einem Blick auf die vorbeiziehende Modekarawane.

Erst ganz am Ende präsentieren die Models des Labels Tukadu Ausgefalleneres: Um Köpfe und Hälse schlingen sich extravagante Kreationen aus Perlenschmuck. Das gefällt Sarah. Korsagen, Röcke und Taschen aus Perlen verschiedenster Materialien, schräg und schrill, aber auch mondän-edel, bringen ihre Augen zum Leuchten.

Veranstaltet wird die Modenschau „der etwas anderen Art“ von Cevan Ucan, einem Friseur in den noblen Heckmann-Höfen, wo der modische Rundgang startet und endet. Mit seinem Team hat er die Models frisiert und gestylt. Die Idee für den Walk hat er schnell erklärt: „Er soll die Vielfältigkeit der Berliner Modeszene präsentieren.“ Neun Vertreter der unterschiedlichsten Stile konnte Cevan dieses Jahr für sein Event gewinnen.

Yoshiharu Ito gehört nicht dazu. Schon letztes Jahr lehnte er die Einladung des benachbarten Friseurs ab. „Das Ganze hat einen zu spektakulären Eventcharakter. Das ist nicht mein Stil“, begründet der zierliche Japaner sein Fehlen.

Maren Lass von den „Werkmeistern“ schließt sich der Meinung ihres Kollegen an. In ihrem Laden an der Friedrichstraße hängen aufwendige Kreationen, inspiriert von skurrilen sächsischen Barocktrends. „Alles Einzelstücke“, erklärt die Designerin. „Für dieses Straßenfaschingsfest zu schade.“ Dazu kommt, dass die teilnehmenden Designer bis kurz vor Beginn nicht feststanden. „Man muss aufpassen, mit wem man seine Modelle präsentiert“, gibt sich Lass skeptisch. Denn sonst könne man schnell in einem falschen Licht erscheinen: „Ich laufe nicht mit jedem.“ Nachdem sie jetzt die Teilnehmer kennt, ist sie froh über ihren Entschluss. Die meisten Namen kennt sie nicht, die präsentierten Kleider eines ihr bekannten Teilnehmers findet sie einfach nur „geschmacklos“.

Betty Bund bedauert diese „arrogante Haltung“. Die Designerin hat sich in den letzten Jahren mit ihrem gleichnamigen Label einen Namen in der Berliner Modeszene gemacht. Mit ihren Modellen war sie bei den ersten beiden Fashion-Walks dabei. Heute schaut sie nur zu. „Es müssen auch andere, vor allem neue Gesichter gezeigt werden“, erklärt sie. In der Szene seien viele junge, kreative Designer aufgetaucht. „Der Walk ist eine großartige Möglichkeit, zu zeigen, was sich in der Berliner Modeszene alles tut“, meint Bund. Von einer Modestadt kann man ihrer Meinung aber noch nicht sprechen. „Dafür dringt zu wenig nach draußen.“

Auf etwa 180 schätzt die Senatsverwaltung für Wirtschaft die Zahl der derzeit aktiven Berliner Modemacher. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. „Mode wird in Berlin eher stiefmütterlich behandelt“, ist Helga Bilitza überzeugt. „Das ist sehr schade“, bedauert die Professorin der Fachrichtung Bekleidungsdesign an der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik, „denn Berlin ist zur Modestadt geradezu prädestiniert.“ In keiner anderen Stadt Deutschlands gebe es ein so breites Spektrum an Ausbildungsmöglichkeiten im Modebereich. Sechs Einrichtungen zählt sie auf, darunter die Hochschule der Künste und den renommierten Lette-Verein. „Das Potenzial ist also da.“

Cevan will dies bündeln, mit dem „Walk of Fashion“ die Modeszene „anschubsen“, eine Plattform schaffen. „Berlin soll Modemetropole werden“, träumt er. Wieder werden. So wie in den Zwanzigerjahren.

„Hier wurde die Konfektion erfunden, Berlin war Hauptstadt der Modeindustrie“, weiß Jochen Pahnke, der zusammen mit seinem Kollegen Christian Kraatzert heute zehn Models auf die Straße schickt. Doch von der einstigen Avantgarde Berlins ist nicht viel übrig. „Das liegt zum Teil an den Berlinern selbst“, ist Pahnke überzeugt. „Jeder verfolgt hier seinen eigenen Stil, sucht nach Individualität.“ Jemanden, der aussehe wie „gerade vom Laufsteg gefallen“, treffe man hier nicht. Kleider von international anerkannten Designern wie Prada, Chanel oder Jil Sander trage man nur in „Modestädten“ wie Hamburg, München oder Düsseldorf. „Doch nur weil da ein paar Leute in Geschäfte wie Prada laufen, heißt das noch lange nicht, das gute Designer vorhanden sind“, betont Pahnke. Berlins Szene sei durch kleine Läden mit einer sehr persönlichen Handschrift und eine kleine Klientel geprägt. Von der Show auf der Straße zeigt sich Pahnke begeistert. „Überhaupt nicht elitär, für jeden zugänglich, ohne Stargast. Das ist Berlin aus sich selbst heraus“, schwämt der Modemacher und fügt seufzend hinzu: „Einfach schön.“

Die Models sind schon wieder auf dem Rückweg zu den Heckmann-Höfen. Wie sie so im Gänsemarsch über die Straße laufen, vorbei an der glänzenden Kuppel der Neuen Synagoge, erinnern sie an lebendig gewordene bunte Dominosteine – dicht an dicht, die Gesichter wie versteinert. „Mehr Abstand“, hört man eine Stimme aus dem Publikum rufen, „man sieht ja gar nicht, wer zu welchem Designer gehört!“ Nur ein Model scheint sich zu besinnen, dass es sich ja eigentlich auf einer Modenschau befindet. Gekonnt dreht sich die Dame im Kreis, spielt neckisch mit ihrem Monokel und blickt die Menge auffordernd an. Nach einer halben Stunde ist der Straßenlauf schon vorbei. Die eigentliche Show startet erst danach in den engen Heckmann-Höfen, wo die Designer wieder fast ausschließlich unter sich bleiben.