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Mit Gott für Krieg oder Frieden

aus Skopje ERICH RATHFELDER

Ob in friedlicheren Zeiten oder den gegenwärtig eher kriegerischen: Eins der ersten Dinge, die dem Reisenden in Mazedonien auffallen, ist die Vielfalt der Religionen. Orthodoxe Kirchen und Klöster sind ein Blickfang im ganzen Land. Minarette von Moscheen zeigen zumindest in den nördlichen und westlichen Gebieten an, dass viele Bürger Muslime sind. In den Städten kann man zudem auf katholische Kirchen und jüdische Synagogen treffen. Auch Methodisten haben in Mazedonien Fuß gefasst. Präsident Boris Trajkovski gehört dieser Kirche an.

Rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung sind muslimische Albaner, die meisten slawischen Mazedonier orthodoxe Gläubige. Dies zeigt, wie wichtig die Stellung dieser beiden größten Glaubensgemeinschaften ist. Wie stehen sie zu dem sich entwickelnden Krieg? Kann die Verkündigung von Gottes Wort noch Frieden schaffen, oder sind Religionsgemeinschaften, wie so oft in der Geschichte, sogar Triebfeder der gewaltsamen Auseinandersetzungen?

Orthodoxie und Nation

Bart und lange Haare sind Erkennungsmerkmale der orthodoxen Priester auch in Mazedonien. Darin sind sie ihren Kollegen in Griechenland, Bulgarien oder Serbien gleich. Und auch darin, dass sie im Islam und der katholischen Kirche Konkurrenten und sogar Gegner sehen. Und doch gibt es Unterschiede zwischen den orthodoxen Kirchen der Region. Vor allem die orthodoxe Kirche Mazedoniens sieht sich in der orthodoxen Welt isoliert.

„Die orthodoxe Kirche Mazedoniens wird in den Nachbarländern diskriminiert“, sagt Stojan Pajkovski, Referent für Glaubensfragen und damit einer der wichtigsten Theologen des Landes. Der grauhaarige Pope, der im Zentrum Skopjes als Geistlicher wirkt, beschwört das Erbe und die Bedeutung der mazedonischen Orthodoxie. „Wir sind die älteste Kirche der Region“, erklärt er.

Die beiden Slawenapostel Kyrill und Method, die Erfinder der noch heute gültigen Schrift, wirkten vom mazedonischen Ohrid aus. „Im 10. Jahrhundert gab es in unserem Land eine Universität mit 1.500 Studenten, einmalig in der damaligen Zeit. Wir Mazedonier haben eine eigene Sprache, eine eigene Kultur. Das müssen die anderen endlich verstehen.“ Im orthodoxen Denken spielt die Kirche eine ausschlaggebende Rolle für die Konstitution des Nationalbewusstseins. Mehr noch: Die Stellung der Kirche definiert die Stellung der Nation entscheidend mit. Das Schlüsselwort heißt Autokephalie. Eine autokephale Kirche fühlt sich als Staatskirche und spirituelles Zentrum der eigenen Nation. Im nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Jugoslawien führte urspünglich die autokephale serbisch-orthodoxe Kirche unbestritten sowohl den Klerus in Montenegro wie in Mazedonien.

Als der jugoslawische Staatschef Tito 1957 der mazedonischen Kirche das Prädikat autokephal zugestand, löste er heftige Proteste der serbischen Kirche aus. Politisch bedeutete Titos Schritt die letztendliche Anerkennung der slawischen Mazedonier als Nation. Dass die jugoslawischen Truppen nach Ausrufung der Unabhängigkeit des Landes anders als in Slowenien und Kroatien freiwillig abgezogen sind, hat auch mit diesem Status zu tun.

Die Kirche hat von Beginn der Unabhängigkeit an versucht, sich als Nationalkirche der Mazedonier zu verankern, so in der Verfassung von 1991. Mit den Verfassungsänderungen von 1994, in der die orthodoxe Kirche im Artikel 19 als Nationalkirche anerkannt wird, ist ihr dies gelungen.

„Die anderen wollen uns zur Glaubensgemeinschaft herabwürdigen. Das widerpricht jedwedem Menschenverstand. Die Katholiken haben Rom, die Muslime andere Zentren. Wir haben nur Mazedonien“, begründet Stojan Pajkovski den Herrschaftsanspruch der orthodoxen Kirche. Sie und damit die slawisch-mazedonische Nation will mit aller Macht das Heft in der Hand behalten. „Wer sich nicht an unsere Gesetze halten will, der soll eben gehen. Stellen Sie sich vor, in ihrem Heimatland würden Gastarbeiter die Waffen in die Hand nehmen. Was würden Sie dann tun?“, fragt Pajkovski.

Islam und Gleichberechtigung

„Die Ambition der Orthodoxen stößt auf unseren entschiedenen Widerstand“, stellt Abdulhadi Vejseli fest. Er ist Sprecher der islamischen Gemeinschaft in Skopje. Mazedonien sei ein multireligiöser Staat, erklärt er und rechnet so: „Der orthodoxen Kirche gehören nur 40 Prozent der Bevölkerung an.“ Die islamische Gemeinschaft dagegen repräsentiere 50 Prozent. „Es sind ja nicht nur die Albaner Muslime, sondern auch die Türken, die meisten Roma und sogar slawische Mazedonier. Und noch etwas: Die nicht orthodoxe Bevölkerung besteht nicht aus Gastarbeitern, es sind Einheimische.“

Seit Beginn des Konfliktes hätte die islamische Gemeinschaft zusammen mit den Katholiken und den anderen Glaubensgemeinschaften versucht, in einer gemeinsamen Resolution auf die Gläubigen einzuwirken, nicht zu den Waffen zu greifen. Der bewaffnete Kampf der UÇK sei von der islamischen Gemeinschaft verurteilt worden. Jedoch habe die islamische Gemeinschaft immer wieder darauf hingewiesen, dass die Forderungen der Albaner nach Gleichstellung im Staate gerechtfertigt seien. Diskriminierungen dürfe es nicht geben. „Nach 10 Jahren vergeblichen Verhandlungen ist es verständlich, wenn einige Heißsporne nicht mehr daran glauben, dass ihr Ziel mit friedlichen Mitteln erreicht werden kann.“ Anfang Juni hätten sich die Repräsentanten der Kirchen in Zürich getroffen und tatsächlich eine gemeinsame Resolution mit den Orthodoxen für die Bewahrung des Friedens zu Stande gebracht. „An diese Übereinkunft hält sich die orthodoxe Kirche aber nicht“, sagt der Theologe. Orthodoxe Priester hätten die Übereinkunft aufgekündigt und die Waffen der Armee gesegnet. „Seit Beginn des Konfliktes wurden 100.000 Menschen vertrieben und 47 Moscheen zerstört“, fährt Vejseli fort. Die Armee schieße mit Artillerie auf die heiligen Stätten. „Wer das tut, führt Krieg nicht nur gegen Menschen, sondern gegen Gott.“

Der Konflikt dürfe auf keinen Fall zu einem Religionskrieg werden, fügt Vejseli hinzu. Er sehe jedoch bei den Orthodoxen eine Philosophie, über die Religion die Menschen zu mobilisieren und die Privilegien der herrschenden Elite zu sichern: „Diese Philosphie hatte Milošević, und er hat Jugoslawien zerstört, diese Philosophie wird auch Mazedonien zerstören.“ Der Islam sei seit Jahrhunderten im Land verankert. Man fordere gleiche Rechte für alle Religionsgemeinschaften, wie in den Verfassungen anderer Staaten. „Wenn wir alle gemeinsam nach Europa wollen, dann müssen wir die grundlegenden Prinzipien Europas akzeptieren.“

Guter und böser Wille

Beide Seiten fordern weitere Verhandlungen. Und beide Seiten wollen den offenen Krieg vermeiden. Tatsächlich aber scheint die Orthodoxe Kirche offenbar noch nicht in der Lage, Kompromisse einzugehen. Jeglicher Kompromiss in der Verfassungsfrage würde ihre Position als Staatskirche erschüttern, die wiederum grundlegend für ihr Selbstverständnis ist. Sie rechtfertigt sogar die Zerstörung von Moscheen mit dem Hinweis, von den Türmen der Gebäude würde geschossen – was militärisch unsinnig ist, denn es handelt sich dabei um äußerst fragile Gebilde. Diese Propaganda wurde von serbischer Seite auch in Bosnien vorgebracht, um die Zerstörungen der Moscheen zu rechtfertigen.

Die islamische Gemeinschaft unterstützt grundsätzlich die Forderungen der Albaner nach Gleichberechtigung im Staate und fordert die Gleichberechtigung aller Religionsgemeinschaften. Sie hat sich zwar rhetorisch, nicht jedoch grundsätzlich von der UÇK abgesetzt. Sollte es ihr mit dem Schutz der heiligen Stätten ernst sein, müsste sie mit Nachdruck den Abzug der UÇK aus dem orthodoxen Kloster von Matejce fordern, das seit Anfang Juni von der UÇK besetzt ist. Ihr Anliegen, den Krieg nicht zum Religionskrieg werden zu lassen, wird von den anderen Glaubensgemeinschaften, so den Katholiken und Protestanten unterstützt.

Es sieht aber so aus, als seien die Religionen nicht im Stande, der Dynamik des Krieges entgegenzustehen. Um das Gegenteil zu beweisen, müsste vor allem die orthodoxe Kirche ihre Position verändern.

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