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Der Überreagierer scheitert fulminant

Peter Sloterdijk will ein Neuerer sein, aber es reicht nicht einmal zur klugen Provokation. Eine lehrreiche Lektüre

Gerade eben hat er die „Salzburger Festspiele“ eröffnet und den ratlosen Ökonomen in der Wirtschaftswoche den Weg gewiesen, ab November wird er das „Philosophische Quartett“ im ZDF präsentieren: der Philosoph Peter Sloterdijk. Seit er am 17. Juli 1999 seine berüchtigte Rede „Regeln für den Menschenpark“ gehalten hat, ist er in aller Munde. Schon damals hätte man schnell zur Tagesordnung übergehen können und den Vortrag als typisch Sloterdijk’sche Mischung aus Feuilleton, Philosophiegeschichtsverbiegung und Ressentiment abtun können. Doch: Genauere Leser wie Ernst Tugendhat enthüllten nicht nur deren argumentative Armseligkeit, sondern auch die ideologische Gefährlichkeit. Die Rede von „Anthropotechniken“, von „Züchtung“ und dem Generalverdacht gegen den Humanismus lassen auf ein reaktionäres Programm, eine Philosophie der Rache an der eigenen Herkunft aus der kritischen Theorie denken.

Dieses Programm versteht man erheblich besser, wenn man es gemeinsam mit seinen Büchern liest: etwa dem gesellschaftspolitischen Entwurf „Der starke Grund, zusammen zu sein. Erinnerungen an die Erfindung des Volkes“ (1997) – und nun seinem soeben mit Hans-Jürgen Heinrichs veröffentlichtem Buch „Die Sonne und der Tod. Dialogische Untersuchungen“. Darin stolzieren sechs (teils bereits publizierte) Gespräche unter so prächtigen Titeln daher wie „Für eine Philosophie der Überreaktion“, „Ich prophezeie der Philosophie eine andere Vergangenheit“ oder „Amphibische Anthropologie und informelles Denken“. Nicht, dass sich in ihnen irgendetwas Neues finden ließe, aber diese Texte liefern wie „Der starke Grund“ einen genaueren Einblick in die Denkwerkstatt des Peter Sloterdijk, den die Öffentlichkeit fatalerweise als den „Philosophen“ wahrnimmt.

Auch im neuen Buch heißen die Feinde Jürgen Habermas, die „kritische Theorie“ und der liberale „common sense“, ja vielleicht sogar die Kritik allgemein. Dies bekommt hier der Merkur-Herausgeber Karl Heinz Bohrer zu spüren. Hatte der sich doch erdreistet Sloterdijk in seiner Zeitschrift ob dessen „Paar“-Philosophie scharf anzugehen: „Bohrer ist ein Repräsentant dieser heroischen Szene, die, wenn sie das Wort Paar hört, ihren Revolver zieht.“ Man ersetze „Paar“ durch „Kultur“, und schon hat man den berühmten Satz aus dem Nazi-Drama „Schlageter“ von Hanns Johst, das Göring so gerne kolportierte. Von hier aus könnte man eine Geschichte schreiben über Sloterdijks allmähliche Unterhöhlung intellektueller Standards durch den scheinbar spielerischen Gebrauch des „Gefährlichen“.

Dessen Programm ist in Wirklichkeit die Aufkündigung kritischen Bewusstseins als Teil intellektueller Redlichkeit. Ob im Historikerstreit oder in der Walser-Debatte: immer waren es die „Hysteriker“, die in ihrer Aufgeregtheit weder Walsers noch Noltes Argumente verstehen wollten. Nein, es fehlt den berufsmäßigen Dilettanten einfach an Bildung, um die „melancholischen Scherze“ (Sloterdijk über seine „Menschenpark“-Rede) verstehen zu können.

An diesem Punkt werden selbst die sechs Gespräche interessant. Denn Sloterdijks Intention liegt weder in der Provokation durch biologistisches Vokabular noch im „gefährlichen Denken“ selbst, ihm geht es vielmehr darum, aus der philosophischen Position des „Sphärologen“ die Niederungen der Debatten auf ihren letztgültigen Grund zu bringen. Der liegt naturgemäß immer weit entfernt von dem, was sich als Konsens durchgesetzt hat.

Der Verstoß gegen Konsens kann ja an sich nützlich sein, aber hier erweist er sich als rein ideologisches Manöver. Wie sehr darunter seine Denkleistungen leiden müssen, zeigt der neue Band deutlich. Denn nicht einmal die Probe aufs Exempel bei seinen philosophischen Überlegungen besteht Sloterdijk. Mit uralten Ladenhütern wie Relation versus Substanz, mehrwertiger versus zweiwertiger Logik präsentiert er sich als angeblicher Neuerer der Philosophie. Die Fähigkeit, so etwas wie ein Argument durchzuhalten, wird man hier vergeblich suchen. Wer aber dazu nicht in der Lage ist, der sollte vorsichtig sein, anderen „Brandstiftervokabeln“ oder „Provinzialismus“ vorzuwerfen. Es könnte sein, dass er die Argumentation nicht verstanden hat. Und auch da, wo in einem idealistischen Sinne nicht mehr argumentiert wird, sind Sloterdijks Auskünfte dünn. Zu Lacans „Spiegelstadium“ etwa fallen ihm nur Bosheiten ein, obwohl er doch – zu Recht – auf die intensivere Rezeption der französischen Denkströmungen pocht.

Ist das nicht blinder Ideologieverdacht? Das mag sein, doch Nahrung erhält er aus diesem schlicht jämmerlichen Buch. Seine Brisanz erhält es aus der Tatsache, dass die Verteidiger systematischen Denkens gleichgesetzt werden mit den Großideologien des 20. Jahrhunderts. Daraus leitet Sloterdijk das Recht ab, alles und jeden mit hineinzunehmen in seine Verfallsgeschichte, die er medien- und fortschrittskritisch präsentiert. Eine Zeit lang konnte man glauben, bei Sloterdijk handle es um jemanden, der unter enormem Äußerungsdruck steht, der unbedingt sehen will, dass seine Sicht sich durchsetzen kann. Jetzt erlebt man ihn nur mehr als blindwütigen Ideologen. Und sonst? Nichts! Peter Sloterdijk ist in diesem Buch offenbar ganz zu sich selbst gekommen.

THOMAS R. MEYER

Peter Sloterdijk/Hans-Jürgen Heinrichs: „Die Sonne und der Tod. Dialogische Untersuchungen“, 370 Seiten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, 38 DM (19,80 €)

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