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ÄGYPTEN: ERST HAT DIE REGIERUNG GEGEBEN, JETZT HAT SIE GENOMMENIslamisten scheitern an der Ehe

Aufatmen in Kairo: Das Zwangsscheidungsverfahren gegen die ägyptische Frauenrechtlerin Nawal as-Saadawi ist niedergeschlagen worden. Die Entscheidung des Kairoer Familiengerichts fußt auf formaljuristischen Gründen, doch der Fall offenbart tiefe Einblicke in den Umgang muslimischer Staaten mit dem politischen Islam. In Ägypten ist dies ein subtiles Kräftespiel zwischen fundamentalistischen Strömungen in der Bevölkerung und einer Regierung, die sich mit allen Mitteln an die Macht klammert. Erst hat der Staat gegeben, jetzt nimmt er wieder. Denn die große Welle des von breiten Bevölkerungsschichten getragenen Islamismus, die Mitte der Neunzigerjahre einen Höhepunkt erreichte, scheint vorbei.

Die Regierungen muslimischer Länder haben alle legalen und illegalen Mittel angewandt, um diese Welle einzudämmen – mit Erfolg. Das verdeutlicht ein Vergleich der Situationen in der Türkei und Ägypten. Die Militärs in Ankara haben bisher felsenfest an der Strategie festgehalten, Islamisten aus allen politischen Institutionen der Türkei so weit wie möglich herauszuhalten. Dafür waren alle Mittel recht – auch ein Putsch gegen die gewählte Regierung Erbakan im Jahr 1997. Die Folge: Heute ist die islamistische Opposition zerstritten und letzte Woche endgültig in zwei Parteien zerfallen. Zwar ist die konservativ-islamische Grundstimmung in der Bevölkerung ungebrochen, doch sie haben kaum mehr eine Möglichkeit, die Tagespolitik zu beeinflussen.

Anders als die Politiker in Ankara setzt die Regierung in Kairo auf eine zweischneidige Strategie: Einerseits werden extremistische Gewalttäter brutal verfolgt, was zur Folge hat, dass diese Gruppen heute fast vollständig zerschlagen sind. Andererseits biedert sich die Regierung den Islamisten an, indem sie ihnen immer wieder entgegenkommt – sei es mit Gesetzen oder der Besetzung von Posten. Integration statt Exklusion lautet das Konzept. Es ist ein gefährliches Spiel, das kaum mit den verbindlichen Grundsätzen eines Rechtsstaats vereinbar ist: Im Jahr 1995 musste die Regierung zulassen, dass der Koranwissenschaftler Nasr Hamid Abu Said auf Antrag eines religiösen Eiferers zwangsgeschieden wurde. Das ging ihr denn doch zu weit, das entsprechende Gesetz wurde geändert – nur deshalb durfte Nawal as-Saadawi verheiratet bleiben. Doch die nächste Kampagne der ägyptischen Islamisten wird nicht lange auf sich warten lassen. Dann könnten die Spielregeln wieder neu formuliert werden. FLORIAN HARMS

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